Damals warst du still
Sicherheitsschlösser schien es zu geben. Aber was, wenn sich im Haus Polizei befand? Das konnte schließlich nicht ausgeschlossen werden: Vielleicht hatten die beiden rund um die Uhr Personenschutz. Gesehen hatte er zwar niemanden, aber das hatte nichts zu bedeuten.
David stellte sich wieder an die Wand neben das Küchenfenster. Schließlich verstand er doch etwas.
»Ich will, dass wir...«, Genuschel, »... wegfahren.« Fabians Stimme. Seine Frau antwortete etwas Unverständliches. Fabian sagte darauf: »Spätestens morgen Abend. Das... uns gut tun.« Wieder konnte David die Antwort der Frau nicht verstehen, ihm kam es aber vor, als sei sie dagegen. Er war ebenfalls erstaunt. Fabian wollte wegfahren? Gleich nach dem Seminar? Er bekam noch ein paar Fragmente der Unterhaltung mit, unter anderem das Wort »Blumenriviera«, das ihm nichts sagte, dann hörte er das Geräusch von klapperndem Geschirr und hin und her gehenden Schritten. Dann erhob sich – aber vielleicht bildete sich das David nur ein – eine dritte Stimme: die eines Mannes, aber nicht Fabians. Also gab es möglicherweise doch Polizisten im Haus. David spitzte die Ohren; am liebsten hätte er noch einmal in die Küche hineingesehen, aber das traute er sich nicht.
Ein paar Minuten später wurde das Licht aus geschaltet. David sah auf seine Digitaluhr: Es war halb elf. Eine halbe Stunde würde er noch warten und dann einen Versuch wagen. Er setzte sich und lehnte sich an die Hausmauer.
Inzwischen war es langsam und unmerklich stockfinster geworden. David, das Stadtkind, hatte gar nicht gewusst, wie dunkel es auf dem Land werden konnte, vor allem, wenn auch noch der Himmel bedeckt war, so wie in dieser Nacht. Gut, dass er daran gedacht hatte, eine Taschenlampe mitzunehmen, nicht seine Mag-Lite, sondern eine kleinere. Er schaltete sie ein und hielt seine Hand über den Lichtstrahl. Langsam schlich er mit der Lampe in der Hand um das Haus herum, das nun so massiv und leblos wie ein Monolith erschien. David fand keine offen gelassene Tür, kein gekipptes Fenster. Er musste es mit einem seiner Dietriche probieren. Wäre Fabians Haus besser gesichert gewesen, hätte er ein viel größeres Risiko eingehen und sich direkt nach dem Seminar im Haus verstecken müssen. Aber Fabian schien trotz der abgeschiedenen Lage seines Hauses mitten im Wald überhaupt keine Angst vor Einbrechern zu haben.
Das passt zu ihm , dachte David, während er sich an der Haustür zu schaffen machte. Fabian hat keine Angst, vor wem auch immer.
Wider Willen bewunderte er ihn dafür.
Die Haustür bekam David jedoch nicht auf; das Schloss war komplizierter, als es zunächst den Anschein hatte. Er versuchte es an der Terrassentür. Nach viel Gefummel ebenfalls Fehlanzeige. Noch einmal überprüfte er das Haus rundherum. Schließlich fand er ein winziges Fenster, das entweder in ein Gäste-WC oder in eine Speisekammer führte. David war nicht sicher, ob er da durchpassen würde, aber er beschloss trotzdem, es zu wagen, denn etwas anderes würde ihm kaum übrig bleiben. Er suchte einen spitzen Stein, fand einen in einem Blumenbeet, zog sein T-Shirt aus, wickelte es um den Stein und schlug das Fenster ein. Der Lärm wurde durch den Stoff nur wenig gedämpft und schien ihm überwältigend zu sein, aber es passierte nichts. Er griff vorsichtig in das gezackte Loch, das er in die Scheibe geschlagen hatte, und öffnete das Fenster. Es war nicht einfach, aber er schaffte es, sich hineinzuzwängen.
2
Freitag, 25. 7., 0.30 Uhr
Es regnete nicht mehr, der Himmel war sternenklar, aber dichter Bodennebel lag über dem Flugfeld, als der Hubschrauber auf dem kleinen Landeplatz vor Marburg landete. Mona fühlte sich gleichzeitig todmüde und hellwach, als sie gemeinsam mit Berghammer und – zu ihrem Verdruss – Fischer ausstieg, der sie auf dem ganzen Flug ignoriert hatte. Die Rotorblätter dröhnten in infernalischer Lautstärke, der starke Wind, den sie verursachten, fuhr ihr in die langen Haare, bis sie wie eine Fackel von ihrem Kopf abstanden. Als sie die paar Schritte zu dem wartenden Streifenwagen gelaufen waren, erhob sich der Helikopter majestätisch blinkend in die Dunkelheit und wurde innerhalb von ein paar Sekunden vom Nebel verschluckt.
Die sich nun einstellende Stille nach dem stundenlangen Fluglärm, den die Kopfhörer kaum hatten dämpfen können, war wohltuend, aber auch verwirrend. Mona brauchte ein paar Sekunden, um sich zu akklimatisieren. Währenddessen stieg ein Polizist in
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