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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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Glastür zum Wohnzimmer war geschlossen, und soweit er sehen konnte, befand sich niemand in dem großen Raum. Eine weitere Viertelstunde später, um zehn nach neun, gingen ein paar Lichter im Haus an. Sie waren also da. Zumindest war Fabian da, seine Frau hatte David auch heute nicht gesehen. Genauso wenig wie Helmut. Wo ist Helmut?, hatte er Fabian zum wiederholten Mal beim Mittagessen gefragt, und Fabian hatte ihm erneut geantwortet, dass er keine Ahnung habe. Machst du dir keine Sorgen?, hatte David danach wissen wollen, und Fabian hatte ihn wieder mit diesem weiten, unergründlichen Blick angesehen, als würde er tief in ihn hereinschauen und ihn gleichzeitig gar nicht wirklich wahrnehmen.
    Nein, hatte er schließlich mit einem leicht amüsierten Unterton geantwortet, und sich abgewandt, als betrachtete er die Unterhaltung als beendet. David war schon früher aufgefallen, dass Fabian es nicht mochte, wenn man beim Essen allzu ausführlich miteinander sprach. Aber David war hartnäckig geblieben, hatte Fabian am Ärmel seines T-Shirts gezupft, wie ein renitentes Kind.
    Warum nicht? Ich meine... Er ist doch schließlich...
    Ja? Was? Plessen hatte sich ihm wieder zugewandt, und nun war die Ironie offensichtlich und David war plötzlich überhaupt nichts mehr eingefallen. Er hatte Fabian nur weiter angesehen, nicht bereit, ihn jetzt entkommen zu lassen. Schließlich hatte Fabian tief Luft geholt und mit lauter Stimme, die am ganzen Tisch zu hören war, eine Erklärung abgegeben, die für alle gedacht war und gleichzeitig das Zwiegespräch mit David beendete.
    Ich weiß, dass es so genannte Therapeuten gibt, die eine Art Verantwortung für ihre Klienten übernehmen. Zumindest behaupten sie das. Es klingt gut, zugegeben. Aber damit maßen sie sich an, eine elternähnliche Funktion einzunehmen. Das tue ich nicht. Ich finde die Wahrheit heraus. Eure Wahrheit, die Wahrheit eurer Familien. Was ihr damit anfangt, ist eure Sache. Ich bin nicht euer Vater, denn ihr habt bereits einen. Ich bin nicht eure Mutter, denn ihr habt bereits eine. Ich bin der Katalysator. Mehr zu sein steht mir nicht zu .
    Danach hatte Fabian das Mittagessen für beendet erklärt, und sie waren gehorsam im Gänsemarsch in den Gruppenraum zurückgekehrt – nur noch zu fünft, da ja Sabine und Helmut fehlten. Der Nachmittag war vergleichsweise ruhig verlaufen. Sie hatten einen Konflikt Raschidas mit ihrer Großmutter besprochen, danach war Franziska dran gewesen, und nun fehlte nur noch Hilmar, dessen Familie morgen, am letzten Tag, angeordnet werden sollte.
    Es war nun fast dunkel, und David wagte sich zum ersten Mal aus seiner Deckung. Ihm war kalt; T-Shirt und Jeans fühlten sich klamm an, und er bedauerte, keine Regenjacke mitgenommen zu haben. Er stellte sich auf den Rasen vor der dunklen Terrasse. Kein Heulen ertönte, kein Bewegungsmelder ließ Scheinwerfer aufflammen und das Anwesen in Alarmbeleuchtung tauchen. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Aus einem Raum seitlich neben dem Wohnzimmer fiel Licht; wahrscheinlich handelte es sich um die Küche. Er schlich sich an das Fenster heran. Es stand einen Spalt offen, und er hörte von innen leises Gemurmel einer Männer- und einer Frauenstimme. Obwohl er sich Mühe gab, konnte er kein Wort verstehen. Die Männerstimme, die Tonmelodie klang nach Fabian, die Frauenstimme war leiser, und David konnte sie nicht einordnen.
    Er entfernte sich ein paar Meter vom Haus, bis ihn der Lichtkegel aus dem Fenster nicht mehr unmittelbar traf, richtete sich auf und sah in den Raum. Plessen und seine Frau saßen einander gegenüber, vermutlich an einem Küchentisch. David konnte ihre Profile deutlich sehen, aber nicht den Tisch und auch nicht, ob er gedeckt war. Roswitha Plessen führte häufiger ein Glas Rotwein an die Lippen. Sie wirkte nervös, wechselte ständig ihre Sitzposition und David zog sich noch weiter in die Dunkelheit zurück, für den Fall, dass ihr Blick zufällig aufs Fenster fallen sollte. Fabian, sah er, nahm nichts zu sich. Er saß im Gegensatz zu seiner Frau ganz ruhig da, aber sein Gesicht schien David im grellen Deckenlicht sehr blass zu sein.
    Er musste warten, bis die beiden ins Bett gingen, vorher konnte er nicht aktiv werden. Und selbst dann würde es sich erst erweisen, ob es überhaupt eine Möglichkeit gab, in dieses Haus zu kommen, ohne regelrecht einzubrechen. David besaß entsprechendes Werkzeug, und eine Alarmanlage hatten seine geschulten Blicke nicht orten können, nicht einmal

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