Damals warst du still
gehabt hatte. Keine konkreten Verdachtsmomente gegen ihn.
Gegen sieben Uhr sprachen Mona und Fischer mit der letzten Vorgeladenen. Die frühabendliche Sonne tauchte den Vorplatz des Hauptbahnhofs in goldenes Licht, und ein Schimmer davon fiel auch in Monas schattiges Büro. Sie schaltete deshalb das Kunstlicht absichtlich nicht ein. Fischer setzte bei seinen Vernehmungen auf Nervosität und Angst, Mona darauf, dass selbst notorische Lügner in einer angenehmen Atmosphäre unvorsichtig wurden (welche Strategie die perfidere war, ihre oder Fischers, darüber machte sie sich durchaus manchmal Gedanken, ohne zu einem Ergebnis zu kommen).
Das blonde Mädchen, das in Sams Alter war und ein hübsches, klares Gesicht hatte, sagte aus, dass sie früher einmal in Sam verliebt gewesen sei, dass sie sich aber von ihm getrennt habe, weil er anfing »H« zu nehmen. Pillen fand sie okay, Koks auch, aber »H« nicht.
»Wann war das genau?«, fragte Mona. Kein anderer seiner Freunde hatte das beantworten können, aber das Mädchen antwortete, ohne zu zögern: »Anfang Juni ungefähr.«
»Das ist ja erst sechs Wochen her.«
»Ja.«
»Woher weißt du das so genau?«, schaltete sich Fischer ein. Ab sechzehn wurden Zeugen vorschriftsmäßig gesiezt, aber Fischer hielt sich ja nie an irgendwelche Regeln.
Das Mädchen senkte den Kopf. »Es war mein Geburtstag. Ich hatte ihn eingeladen... Sie wissen schon..., ihn allein.«
»Um Sex zu haben?«, fragte Fischer ungerührt.
»Ja. Aber es, äh...«
»Es ging nicht?«, fragte Mona, der etwas dämmerte. »Er war zu stoned, und es klappte nicht?«
Das Mädchen nickte. »Er war total verändert. Hat immer nur gelächelt. Und dann hat er es mir gezeigt.«
»Den Einstich?«
»Nein. Das Zeug. Zu dem Zeitpunkt hat er es noch geschnupft.«
»Und Sie?«
»Er hat gesagt, er würde es wieder tun, und ich müsste es auch versuchen, und es sei besser als jeder Orgasmus.«
»Und dann?«
»Ich war total enttäuscht. Ich hab ihm gesagt, dass ich mich trenne, wenn er nicht damit aufhört.«
»Haben Sie ihn gefragt, wo er das Heroin herhat?«
»Interessiert mich doch nicht. Das kriegt man doch überall.«
»Haben Sie ihn danach noch mal gesehen?«
»Ich hab gehofft, er hört auf. Aber er hat es immer wieder gemacht. Ich wollte ihn dann nicht mehr sehen.«
»Wann war das? Wann haben Sie mit ihm Schluss gemacht?«
»Ich weiß nicht genau. Vor zwei Wochen ungefähr. Oder, nee. Zweieinhalb. Bestimmt schon zweieinhalb.«
»Okay«, sagte Mona. »Und Sie wissen bis heute nicht, wer ihm das Heroin verkauft hat?«
»Nein. Ist mir auch total egal.«
»Das glaube ich dir nicht«, mischte sich Fischer ein.
»Warum duzen Sie mich eigentlich? Ich bin schon sechzehn, selbst die Lehrer sagen Sie zu mir.«
»Wir werden Sie ab jetzt siezen«, sagte Mona rasch, ohne Fischer anzusehen. Aber sie spürte seine Wut darüber, dass sie ihm in den Rücken fiel. Denn so sah er das: Wer nicht seiner Meinung war, war gegen ihn. Wahrscheinlich fand er das Mädchen hübsch und wertete ihre Bemerkung als Abfuhr, was ihn noch zusätzlich aggressiv machte. Fischer war sehr gut im Vernehmen trotziger und verlogener Zeugen, aber er merkte nicht, wann jemand tatsächlich nicht mehr wusste, als er sagte. Mona versuchte es ein letztes Mal. »Es ist wirklich wichtig, dass wir seinen Dealer kennen. Denken Sie bitte noch mal nach.«
Das Mädchen runzelte gehorsam die Stirn und tat so, als würde sie sich in die Frage vertiefen, aber es kam nichts dabei heraus.
»Kennen Sie einen Club namens Babylon ?«, fragte Mona schließlich nach längerem Schweigen. Die Sonne verschwand hinter dem Gebäude des Hauptbahnhofs, und Monas Büro wurde innerhalb weniger Minuten so dämmerig, dass sie das Gesicht des Mädchens nur noch als undeutliche helle Fläche wahrnahm. Als Fischer schließlich das harte, nüchterne Deckenlicht einschaltete, zuckte das Mädchen zusammen und schien aus einem langen Traum aufzuwachen. Ihre Augen waren gerötet, und sie wirkte blass und verschreckt. Vielleicht registrierte sie erst jetzt, was passiert war: dass sie ihren ehemaligen Freund, in den sie möglicherweise noch verliebt war, niemals wiedersehen würde. Nie, niemals. Die meisten Angehörigen von Mordopfern begriffen erst spät, dass der Tod endgültig war, irreversibel, und bar jeder tränentreibenden Romantik.
»Schon mal gehört«, sagte das Mädchen schließlich. »Aber da gehe ich doch nicht hin, das ist doch was für Loser.«
»Aha«, sagte
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