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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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Vorstellung, dass all die Aufregung seinetwegen stattfand. Er hatte den Hund beziehungsweise dessen Überreste im Wald an einer schwer zugänglichen Stelle begraben und die Stelle danach sorgfältig mit altem feuchtem Laub, Moos und Tannennadeln bedeckt, bis man nichts mehr sah. Danach hatte er sein Messer im nahen See gesäubert und war nach Hause geschlendert. Er war zufrieden mit sich: Er hatte sich zusammengenommen, die Leiche des Hundes nicht wild und unbeherrscht zerstört, sondern nach allen Regeln der Kunst – seiner Kunst – seziert und damit die Befriedigung erlangt, die er suchte.
    Manchmal gab er sich Namen, die er aus dem Westfernsehen oder aus Büchern aufschnappte. Werwolf zum Beispiel. Er sah einen Film, in dem sich ein normaler Mann eines Nachts bei Vollmond in eine reißende Bestie verwandelte, die nur von einer schönen Frau gezähmt werden konnte, und so gefiel sich der Junge eine Zeit lang als blutrünstiges Monster, das sich in einem Jungen versteckte und auf Ausbruch sann. Schließlich bevorzugte er aber eine neue Rolle: die eines Auftragskillers der Mafia, der jedes seiner Opfer mit einem kleinen Mal kennzeichnete – als Indiz für seine Kunden, dass er einen guten Job geleistet hatte, den niemand so perfekt erledigen konnte wie er. Er wollte es sauber und sorgfältig tun, nicht brutal und chaotisch. Er wollte kein Opfer seiner Triebe sein, sondern die Kontrolle behalten.
    Aber so konkret waren seine Fantasien nicht immer. Jedes Tier, das er tötete, untersuchte und anschließend ausweidete, öffnete gleichsam die Tür zu einer neuen Bilderwelt, die manchmal nur aus sich langsam verändernden Farben und Formen bestand, manchmal aber auch aus seltsam authentisch wirkenden Erinnerungsfetzen an ein früheres, anderes Leben, das er in bewusstem Zustand nicht kannte.
    Sobald er aus dieser somnambulen Verfassung erwachte, fühlte er sich gleichzeitig leer und beschmutzt, so wie es ihm in manchen Nächten ging, wenn ihm übel war und er sich übergeben musste. Manchmal – immer noch zu oft! – lag vor ihm ein totes Lebewesen, das fürchterlich zugerichtet war, ohne dass der Junge wusste, wie genau das passiert war. Dieser Anblick ekelte ihn jedes Mal aufs Neue, und er begann sich selbst zu hassen: Weil er sich wieder nicht hatte beherrschen können. An solchen Tagen wirkte er auf seine Umgebung schlecht gelaunt, aggressiv und verwirrt. Aber niemand dachte sich viel dabei.
    Ein Jahr nach dem Tod seines Vaters begann sich seine Mutter sporadisch mit Männern zu treffen. Seine Schwester war zu diesem Zeitpunkt von einem Jungen aus der Nachbarschaft schwanger und hielt sich mehr bei dessen Familie auf als bei ihrer eigenen. Seine Mutter hörte endgültig auf, ihn zu beobachten, und konzentrierte ihre Energie stattdessen darauf, wieder Spaß am Leben zu haben, wie sie sich ausdrückte. Spaß: das waren wechselnde Partner, mit denen sie nach dem Abendessen im Bett verschwand. Der Junge konnte sie nachts manchmal hören; dann hielt er sich die Ohren zu, krümmte sich wie ein Embryo in seinem Bett und tauchte ab in sein Universum der Grausamkeit, in dem er sich mittlerweile mehr zu Hause fühlte als dort, wo sich sein reales Leben abspielte.

16
    Mittwoch, 16. 7., 14.37 Uhr
    Nach der Vernehmung Brennauers und ihrer Rückkehr ins Dezernat ließ sich Mona von Lucia einen Döner holen, weil sie dachte, sie müsse etwas zu sich nehmen, schon um den penetranten Leichengeruch aus der Nase zu bekommen. Als sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, war ihr bereits übel von dem fetten, würzigen Fleisch, das nicht in die glühende Hitze passte, in der man besser nur Obst und Eis aß. Während sie noch überlegte, ob sie sich ein Glas Wasser holen sollte, klopfte es an der Tür.
    »Herein«, rief sie. Patrick Bauer öffnete die Tür und sagte zu einer Person hinter ihm: »Hier ist sie.« Hinter Patrick Bauer erschien ein großer, dunkelhaariger Mann, der sich mit Stefan Heitzmann vorstellte.
    »KHK Mona Seiler«, sagte Mona. »Sind Sie der Journalist von der AZ?«
    Heitzmann nickte.
    »Setzen Sie sich«, sagte Mona und gab Bauer ein Zeichen, dass er gehen könne. Gehorsam schloss er die Tür hinter sich. Einen Moment lang überlegte sie, Fischer zu holen, aber dann entschied sie sich dagegen. Fischer würde den armen Kerl nur wieder anfahren, und dann würde die Vernehmung doppelt so lange dauern, weil den Leuten nichts einfiel, solange sie Angst hatten.
    Heitzmann sah allerdings nicht so aus, als würde

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