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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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bisher.
    Manchmal, dachte Mona, wäre es nicht schlecht, ein Mann zu sein. Nicht für immer, nur für einen Tag. Um zu spüren, was sie spürten, zu denken, was sie dachten, zu fürchten und zu lieben, was sie fürchteten und liebten. Denn die Unterschiede zwischen Männern und Frauen erschienen ihr mittlerweile so gewaltig, dass Mona sich oft wunderte, dass und wie Beziehungen zwischen den Geschlechtern überhaupt zu Stande kommen konnten.
    Eifersüchtige Männer waren außer sich vor Zorn, eifersüchtige Frauen außer sich vor Angst. Ein erfolgreicher Mann war für seine Frau ein Statussymbol, eine erfolgreiche Frau für ihren Mann eine Bedrohung. Frauen wollten immer nur Liebe, Männer immer nur Respekt. Und so weiter.
    Es erschien Mona wie ein Déjà-vu, als sie zum zweiten Mal durch Gersting fuhr, obwohl heute die Dämmerung bereits eingesetzt hatte und das Dorf in unwirkliches, rosig-bläuliches Licht tauchte. Aber wieder wirkte Gersting wie von aller Welt verlassen. Die Geschäfte hatten geschlossen, das Café war leer bis auf zwei Gäste, ein junges Paar, das einander gegenübersaß und sich an den Händen hielt. »Wie verzaubert«, murmelte Mona, ohne eine Antwort zu erwarten. Bauer sagte tatsächlich nichts darauf.
    Vielleicht würde er noch eine Weile schweigen und sich anschließend doch so benehmen, als sei nie etwas passiert. Vielleicht würde er gleich morgen früh seinen Versetzungsantrag einreichen. Vielleicht würde er auch kämpfen. Möglichkeit Nummer drei wäre Mona die liebste. Denn er war eigentlich gut in seinem Job. Er verstand schnell, worauf es bei Vernehmungen ankam, er hatte ein Ohr für Zwischentöne und Ungesagtes: Sie brauchten Leute wie ihn, aber nur wenn Leute wie er es schafften, ihre Sensibilität beruflich einzusetzen, statt sie wie eine tödliche Waffe gegen sich selbst zu richten. Im Moment schlief Bauer zu wenig, aß zu wenig und man sah ihm viel zu deutlich an, wie sehr er sich anstrengen musste, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
    Sie ließen Gersting hinter sich und fuhren die schmale gewundene Landstraße bis zum Ulmenweg. Mona bog ein. Während sie über den schlecht geteerten Weg holperten, vertiefte sich die Dämmerung. Im schwindenden Licht wirkte das Wäldchen vor ihnen wie eine monochrome schwarze Wand; die Silhouette der Bäume bildete einen zackigen Rand, der sich scharf gegen den abendblassen Himmel absetzte.
    »Was hat Plessen gesagt?«, fragte Mona, um das Schweigen zu brechen. Als Bauer nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Du hast doch mit ihm telefoniert. Vorhin.«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Er hat gesagt: Wir sind zu Hause.«
    »Sonst nichts?«
    »Sonst nichts.«
    »Aha.«
    »Ja. Was soll er auch sonst sagen? Freu mich schon, hab Ihnen einen Kuchen gebacken?«
    Mona musste lachen. Möglichkeit Nummer drei war zumindest nicht völlig ausgeschlossen.
    Vor dem Grundstück der Plessens standen mehrere PKWs und einige Übertragungswagen von Privatsendern in der Dunkelheit. Ein Journalist sprang auf, als er Monas Autos ansichtig wurde. »Gehen Sie weg«, sagte Mona. Sie kannte ihn, es war ein Polizeireporter der Bild .
    »Frau Seiler. Bloß ein paar Worte zum Stand...«
    »Morgen bei der PK. Okay?«
    »Das ist zu spät!«
    »Es geht aber nicht anders. Lassen Sie mich jetzt durch.« Ein Scheinwerfer flammte auf und richtete sich auf ihren Wagen. Mona schloss für einen Moment geblendet die Augen. Sie ließ den Motor aufheulen und schoss zwischen den Autos hindurch zum Tor. Bauer hatte die Plessens per Handy alarmiert; das Tor ging auf und sofort wieder zu. Mona überlegte, wer sich von den Journalisten bereits widerrechtlich im Garten versteckt und wer als Erster brandheiße Familienbilder von Sonja Martinez und Samuel Plessen erbeutet hatte – von der MK 1 hatten sie nur die jeweiligen Passfotos der Toten bekommen. Die Öffentlichkeit hungerte nach solchen Horror-Geschichten, trotz oder gerade wegen der politischen und wirtschaftlichen Krise. Sie lenkten ab von den eigenen Problemen.

21
    Mittwoch, 16. 7., 20.35 Uhr
    Plessen trug schwarze, leicht knittrig wirkende Leinenhosen und ein schwarzes Seidenhemd, das über der Hose hing. Auch seine Frau hatte weite, schwarze Kleidung an. Zu Monas Überraschung waren sie nicht allein: Fünf Menschen, drei Männer und zwei Frauen, erhoben sich, als Plessen und seine Frau Mona und Bauer ins Wohnzimmer brachten.
    »Das sind Freunde«, sagte Plessen.
    »Wir würden gern mit Ihnen beiden allein sprechen«, sagte

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