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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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er es packen würde. Dass er, auch ohne vorherige Absprache, wusste, was sie von ihm erwartete. Er kennt die Fakten, sagte sie sich. Er ist klug. Er weiß, worauf wir hinaus müssen.
    »Wir könnten in die Küche gehen«, sagte schließlich Frau Plessen mit unsicherer Stimme. Wieder schien sie zu schwanken, Bauer nahm ganz zart und selbstverständlich ihren Ellbogen.
    »Also...«, sagte Plessen. Er erhob sich halb, setzte sich dann aber wieder hin.
    »Gute Idee, das mit der Küche«, sagte Mona, und nickte Bauer zu. Du kriegst das hin, Patrick. Und Bauer, als hätte er plötzlich einen optimistischen Schub, führte Frau Plessen langsam zur Tür, und er machte das gar nicht übel. Mona hoffte, dass er nicht vergaß, sein Band zu benutzen.

22
    Mittwoch, 16. 7., 20.51 Uhr
    »Frau Martinez«, sagte Mona, als sie mit Plessen allein war.
    »Ja?«
    »Bei der waren wir gerade. Sie haben sie nicht behandelt, aber mit ihr die -, die Wurzel ihrer Probleme gesucht. Wie ging das vor sich?«
    »Jeder Erfolg beruht auf Erkenntnis«, sagte Plessen. Mona merkte verwundert, dass er sich von einer Sekunde auf die andere überhaupt keine Gedanken mehr über seine Frau zu machen schien. Vielmehr wirkte er plötzlich, als sei er in seinem tatsächlichen Element. Er sah auf einen Punkt hinter Mona, sein Gesicht hatte etwas schwärmerisch Beseeltes angenommen.
    »Welche Erkenntnis?«, fragte Mona.
    »Wir glauben, wir seien autonom, aber wir sind alles andere als das«, sagte Plessen, und gerade als Mona das Gefühl hatte, dass er sie kaum noch wahrnahm, fasste er sie wieder ins Auge. Sein Blick schien sich in ihre Pupillen zu bohren, als wollte er bis in ihr Inneres sehen. Ein Trick, dachte Mona, und trotzdem wurde ihr leicht schwindlig, als begebe sie sich auf eine Reise, von der sie nicht wusste, wohin sie gehen würde.
    »Wir sind nicht autonom«, sagte Plessen, als würde er eine Ballade anstimmen. »Wir sind Mitglieder eines umfangreichen Netzwerks. Wir kommen auf die Welt und gehören bereits dazu.«
    »Welches Netzwerk?«
    Wieder lächelte Plessen, und einen Moment lang wünschte sich Mona, Bauer nicht weggeschickt zu haben. Dann nahm sie sich zusammen.
    »Unsere Familie natürlich«, sagte Plessen. »Vater, Mutter, Großeltern, Geschwister, Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen. Wir gehören alle dazu. Die Familie drückt uns ihren Stempel auf.«
    »Und?«, fragte Mona.
    »Jeder von uns hat eine Rolle in diesem komplexen Geflecht«, sagte Plessen. »Auf jedem von uns lastet ein Bündel an Erwartungen, häufig unbewusster Natur. Jeder von uns hat einen Auftrag zu erledigen, den ihm die Familie als unpersönliches Ganzes aufgibt. Es ist an uns zu begreifen, worin dieser Auftrag liegt.«
    »Aha«, sagte Mona ratlos. Sie hatte eine Schwester, Lin, mit zwei Kindern, die sich in der Vergangenheit häufig um Lukas gekümmert hatte, wenn Mona wieder einmal Überstunden schieben musste. Dann war da eine Mutter, die ihr restliches Leben in der Psychiatrie verdämmerte, und ein Vater, der vor mehreren Jahren gestorben war. Welcher Auftrag sollte da von woher kommen? Sie fokussierte ihre Gedanken wieder auf den Fall, aber es war gar nicht so einfach. »Warum sollte das so sein? Ich meine, wie kommen Sie darauf? Ist das Ihre Theorie, oder...«
    »Es ist keine Theorie«, sagte Plessen sanft. »Es ist einfach die Wahrheit. Ich bin auch nicht derjenige, der sie entdeckt hat. Ich vertrete sie radikaler als so mancher andere. Aber viele haben sie bereits erkannt. Psychologen, große Schriftsteller, Künstler. Sie alle spüren diese Wahrheit.«
    »Und dann? Was passiert, wenn man diese Wahrheit spürt?«
    Diesmal lachte Plessen laut heraus, aber es klang nicht hämisch oder unfreundlich, eher liebevoll. Sein Gesicht war alt, aber die Art, wie er sich gab, war jugendlich und weise zugleich. Mona erkannte, dass sie noch nie einen Menschen wie ihn getroffen hatte. Der Gedanke verunsicherte sie.
    »Wenn man die Wahrheit spürt«, sagte Plessen, »ist man schon einen sehr großen Schritt weiter. Wenn man sie in Worte fassen, also sie sich bewusst machen kann, ist das der nächste große Schritt hin zur Erlösung. Dabei helfe ich den Menschen: ihre eigene Wahrheit auszudrücken, sodass sie jeder verstehen und nachvollziehen kann. Darin sehe ich meine Aufgabe.«
    »Und das passiert in welchem Rahmen?«
    »Im Rahmen und im Schutz einer Gruppe von Menschen, die ebenfalls auf der Suche nach ihrer eigenen Wahrheit sind. Sie helfen, indem sie andere mit der Wahrheit

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