Damals warst du still
beruhigen.
»Das steht zwar noch nicht fest«, fuhr Mona fort, »weil die Liegezeit des Opfers zu lang war, um Drogen im Körper isolieren zu können. Aber...«
»Die Buchstaben«, unterbrach sie Plessen. »Auf dem Bauch. Das hat mir Ihr Kollege schon gesagt.«
Mona warf Bauer einen Blick zu, er sah weg. Die Regel war, dass man Zeugen möglichst vage über die näheren Umstände ihrer Vernehmung informierte. Zeugen sollten berichten, was sie wussten, und keine Stories verbreiten, die sie sich vorab zurechtgelegt hatten. Aber jetzt war es zu spät.
»Was hat Ihnen Herr Bauer sonst noch gesagt?«
»Nichts. Nur das mit den Buchstaben.«
»Nichts über die Leiche?«
»Nein. Warum?«
Wenigstens das. Mona hatte ein paar Fotos dabei, für den Fall, dass die Plessens nicht kooperierten. Ein paar wirklich schlimme Bilder, jedenfalls für Laien. Manchmal machten Schockeffekte dieser Art gesprächig. Es war nicht ganz fair und sorgte oft für schlimme Träume, aber das Ziel war die Wahrheit, und die rechtfertigte in ihrem Job durchaus auch grobe Mittel.
»Was war mit der Leiche?«, fragte Plessen.
»Darüber sprechen wir noch. Jetzt brauche ich Informationen über Frau Martinez. Möglichst detailliert.«
»Ja. Fragen Sie.«
»Sie war Ihre Patientin?«
»Patientin? Nein. Ich bin kein Arzt.«
»Sondern? Was dann?«
»Klienten kommen zu mir, um zu erfahren, warum sie Probleme haben, die sie nun schon jahrelang, oft ihr ganzes Leben lang, begleiten.«
»Und die behandeln Sie dann?«
Plessen lächelte plötzlich und schaffte es auf mysteriöse Weise, dass Mona sich beinahe dumm vorkam, zumindest aber taktlos und ungeschickt. Als sei es albern, einem Mann wie Plessen solche Fragen zu stellen.
»Nein, so kann man das nicht nennen«, sagte er, und Mona musste wieder an die Fernsehsendung denken: Plessen hatte damals die Gesprächsführung ganz mühelos an sich genommen und dem Publikum auf diese Weise den Eindruck vermittelt, dass der Moderator gar nicht da war, oder jedenfalls in diesem Moment nicht wichtig.
»Ich behandle ›die‹ nicht«, sagte Plessen. »Wir versuchen gemeinsam, die Wurzel ihrer Probleme aufzuspüren.«
»Und das haben Sie auch bei Frau Martinez gemacht?«
»Ja. Gemeinsam mit den anderen.« Seine Stimme war so leise, dass Mona unwillkürlich das Tonbandgerät näher an ihn heranschob, aber sie verstand dennoch jedes Wort.
»Welche anderen?«, fragte sie.
Wieder lächelte Plessen, als sei Mona ein trotziges, aber doch viel versprechendes junges Ding, das nur noch etwas Feinschliff brauchte, um auf seiner Ebene kommunizieren zu können. Er beugte sich vor und sah ihr direkt in die Augen, und Mona verlor sich fast in diesem Blick, der keine Angst zu kennen schien, sondern ein beinahe hypnotisches Selbstbewusstsein ausstrahlte.
»Welche anderen?«, wiederholte sie.
Plessen senkte die Augen. Der Moment war vorüber, Mona sah wieder einen alten Mann vor sich, gramgebeugt von seinem Kummer. Aber seine Stimme blieb melodisch und sanft, gleichzeitig sicher und klar, wie die eines geübten Verführers.
»Ich mache keine Einzelsitzungen«, sagte er. »Wir arbeiten nur in der Gruppe. Das ist in erster Linie ein energetischer Prozess. Daran sind viele beteiligt, nicht nur der Klient und ich.« Seine Frau kam herein und brachte den Kaffee, schwarz und heiß, wie Mona ihn mochte. Bauer nahm seine Tasse und lächelte Frau Plessen an. Sie lächelte zurück, mechanisch und trotzdem charmant. In diesem Moment hatte Mona eine Idee. Es war ein Risiko, aber auch eine Chance: Vielleicht würde eine Frau wie Roswitha Plessen einem netten, vertrauenswürdigen jungen Mann mehr erzählen als jemandem wie Mona.
»Frau Plessen«, sagte Mona, »ich möchte, dass Sie sich mit meinem Kollegen unterhalten. Das spart uns allen Zeit.« Bauer starrte sie verblüfft an. Glücklicherweise sagte er nichts. Auch Plessens unerschütterliche Ruhe schien plötzlich einen kleinen Riss bekommen zu haben.
»Sie meinen – woanders als hier?«, fragte seine Frau. Sie schwankte leicht. Ob sie sich in der Küche einen genehmigt hatte? Wenn ja – umso besser.
»Ja«, sagte Mona. »Ist das ein Problem?«
»Äh, nein. Fabian...?«
Plessen machte ein Gesicht, als wollte er Protest einlegen, aber Mona kam ihm zuvor. »Bitte«, sagte sie. »Die Vernehmung ist auf die Weise einfach effizienter.«
Bauer stand langsam auf. Eine Vernehmung allein führen zu können, das war ein Vertrauensbeweis. Mona sah ihn nicht an, aber sie hoffte, dass
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