Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Einheimischen, und in der Regel zerbrechen sie daran.
Aber das ist nicht allein das Problem der ersten Ausländergeneration. Die Fremde hört nicht bei den Erstankömmlingen auf. Sie pflanzt sich fort. Nehmen wir nur ein Beispiel aus meiner Nachbarschaft in Heidelberg. Entsprechendes ereignet sich tausendfach täglich.
Ein kleines Mädchen zieht, aus welchen Gründen auch immer, mit den Eltern von einem Mittelmeerland nach Deutschland. Sie hat dort enorme Schwierigkeiten, die Sprache zu erlernen und die Norm im Kindergarten und in der Schule zu halten, da bei ihr zu Hause entsprechend den Sitten und Gebräuchen des Ursprungslandes gelebt und vor allem gesprochen wird. Das Mädchen verlässt jeden Tag aufs Neue ihre Heimat und tritt in eine neue Welt, ohne Hilfe, ohne Kompass, denn die Ratschläge ihrer Eltern taugen draußennichts. Die Eltern kennen diese Welt nicht und betrachten sie als notwendiges, aber bedrohliches Übel. Die Werte in dieser neuen Welt sind denen der alten Heimat nicht selten diametral entgegengesetzt. Moral, gut und böse, richtig und falsch, Wahrheit und Lüge geraten durcheinander. Das zarte Mädchen ist Wechselbädern ausgesetzt, denen ein erwachsener Mensch nicht gewachsen ist.
Die Sprachschwierigkeiten der Eltern, ihr minimales Wissen über die sie umgebende Gesellschaft führen zu Fehlschlüssen über die Zukunft ihrer Kinder.
Die Eltern merken bald, dass ihr Kind zum Vertreter der anderen herrschenden Kultur in den eigenen vier Wänden geworden ist, sie nehmen quasi einen Riss in der Burgmauer wahr, die sie sorgfältig zum Selbstschutz gebaut haben. Viele Eltern reagieren ihren Kindern gegenüber in der Fremde autoritärer als in ihren Heimatländern. Der Rettungsring der Kinder, die Sprache, erscheint den Eltern nicht selten als Bleigewicht, das sie in die düstere, undurchschaubare Tiefe zieht.
Das Scheitern der ausländischen Kinder ist vorprogrammiert. Aber nehmen wir an – was auch in der Fremde nicht selten ist –, das Mädchen besitzt einen ungeheuer starken Willen, sie schafft das alles und hält wie eine Akrobatin die Balance beim Tanz auf dem Hochseil. Sie wächst zu einer starken und selbstbewussten Frau heran und schafft das Abitur. Jetzt stellen sich andere Konflikte ein, die mit der Verschiebung der Autorität zu tun haben. Auch die Verlustangst erweist sich als große Hürde, denn die Eltern haben sich inzwischen eingeigelt, um zu retten, was noch zu retten ist. Eine Burg ist entstanden, die eine gewisse Sicherheit vor Fremdenhassern gewährleistet, und nun will ein Familienmitglied diese Burg verlassen und endgültig zu den anderen überlaufen. Angst ist der treueste Freund des Fremden.
Wen mag es wundern, wenn diese junge Frau erkrankt? Ist sie nicht wunderbar gesund an Körper und Seele und reagiert sie nicht nur auf eine kranke Umgebung?
Das Schicksal dieser Frau ist nicht außergewöhnlich und dramatisch, es ist das tägliche Brot der Fremden.
Wie mag die Seele eines Mannes reagieren, der in seiner Heimat Bauer, Ingenieur oder Rechtsanwalt war und hier nun in der stickigen Küche eines Restaurants unter mittelalterlichen Bedingungen arbeiten muss?
Wie mag sich ein Araber fühlen, dessen Kultur zweimal die Woche – und das ist eine Statistik, die ich ein Jahrzehnt lang geführt habe und von keinem infrage stellen lasse – zur besten Sendezeit mit beleidigenden Filmen im Fernsehen traktiert wird?
Ich möchte Ihnen sagen, auch nach dreißig Jahren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland kann ich manchmal nach einem Abend mit solch einer Sendung nicht schlafen. Mich stört weniger der Film als die Tatsache, dass er in öffentlich-rechtlichen Anstalten gesendet wird, wo alle Parteien, Gewerkschaften und Kirchen vertreten sind und alles überwachen, wo es aber keiner dieser Herren in dreißig Jahren fertig gebracht hat, sich öffentlich von solchen rassistischen Filmen und Programmen zu distanzieren.
Die Gnade meines Berufes erlaubt es mir, mich durch das Schreiben von Satiren bei täglicher Kränkung zu entgiften. Aber was ist mit den Unzähligen, die einsam all das schlucken müssen?
Sie erkranken.
Und was passiert, wenn die Fremden krank werden? Sie werden behandelt.
Aber wie kann eine Ärztin, eine Krankenschwester oder eine Therapeutin einen psychosomatisch erkrankten Patientenbehandeln, ohne dessen Sprache, dessen Kultur zu kennen? Wie sollen sie herausfinden, in welchem Maß es dem Fremden an Schutz und Hilfe fehlte und welch negative
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