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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Klinikpersonal übernimmt und vor allem eine Stunde pro Woche oder Monat das medizinische und pflegerische Personal über die Geheimnisse und Rituale des Islam aufklärt.
    Ein Iraker machte große Probleme in einem anderen Krankenhaus. Er wollte nicht einsehen, warum seine Verwandten aus Hamburg, die bis nach Stuttgart gereist waren, nicht bei ihm bleiben durften, nicht mit ihm essen, sich laut etwas erzählen, singen und weinen durften. Vor allem seiner Schwester schrieb er eine magische Rolle in seiner Heilung zu. »Ihre Anwesenheit vertreibt Neid und Krankheit. Sie wollte bei mir auf dem Boden neben meinem Bett übernachten, aber die Ärzte erlauben das nicht«, sagte er mir verzweifelt. Die Schwesterwar bereit, ihre Familie in Berlin, Mann und drei Kinder, allein zu lassen, um bei dem kranken Bruder zu bleiben. Auch sie glaubte an die heilende Wirkung ihrer Hände. »Sie entziehen ihm den Schmerz«, sagte sie mit voller Überzeugung.
    Im Süden wird der Mensch berührt. Die Hände sind keine Werkzeuge zur Versorgung des eigenen Körpers, sondern Antennen und Brücken zum anderen. Sie senden und empfangen.
    Die Krankheit ist in Nordeuropa eine intime, im Süden eine gesellschaftliche und familiäre Angelegenheit. Für Europäer entsteht die Krankheit im Körper, für Südländer kommt sie von außen und überfällt Körper und Seele.
    Ein Palästinenser wurde nach seiner Einlieferung sehr aggressiv und weigerte sich, mit irgendjemandem zu sprechen. Als ich ihn besuchte, wollte er auch mit mir nicht reden. Erst nach und nach konnte ich durch seine Angstschleier schauen. Er glaubte wirklich, man wolle ihn hier fertig machen. Er war drei Jahre im bewaffneten Kampf gewesen und dann nach Deutschland geflohen, wo ihm zu seinem Glück Asyl gewährt wurde und er erfolgreich im eigenen Restaurant arbeitete. Er litt an einem Magengeschwür.
    Man hatte im Krankenhaus schon alles versucht, doch eine Operation wurde unvermeidlich. Der Palästinenser hatte fürchterliche Angst und wollte das Krankenhaus verlassen, wagte aber nicht, es dem Arzt zu sagen. Und warum?
    Der Arzt sei ein Israelfreund, gab er mir zu verstehen. Das wisse er.
    Der Arzt jedoch, ein katholischer und unpolitischer Mann, hatte den Patienten nur gefragt, woher er käme, und daraufhin von seinem Urlaub in Israel geschwärmt und davon, was für ein Paradies die Israelis doch aus diesem Wüstenland gemacht hätten!
    Auch in diesem Fall war Verständigung nach Aufklärung möglich, und nach eingehenden Gesprächen über die Notwendigkeit des chirurgischen Eingriffs vertraute der Patient dem Arzt. Gott sei Dank gelang die Operation, und der Patient wurde geheilt.
    Das sind nur drei Fälle. Ich will in meinem Beitrag auch nicht weiter auf andere Missverständnisse eingehen, die vom Mangel an ethnomedizinischen Kenntnissen der Mediziner und des Pflegepersonals herrühren. So haben etwa Ärzte verzweifelt versucht, bei einem vietnamesischen Neugeborenen durch Bestrahlung mit Weißlicht die Bilirubinwerte abzusenken, damit sie denen eines deutschen Babys entsprechen. Erst von einem Experten aus Südostasien mussten die Ärzte lernen, dass Asiaten eine andere Toleranzgrenze für Bilirubin haben und nie so weiß werden wie Europäer.
    Nein, ich möchte mich auf Probleme beschränken, die durch eine Kommunikationsstörung verursacht werden.
    Entscheidendes Mittel der Kommunikation ist die Sprache.
    Nun ist Sprache ein merkwürdiges Gebilde. Die Wörter bedeuten mehrere Dinge zugleich. Ich meine damit nicht Homonyme wie die Wörter Bank und Bank, sondern die dem Wort zukommende Bedeutung, die vom Ton des Sprechers geprägt wird. Ich rede von der Metapher, die er gebraucht, und von den anderen kulturellen Zusätzen, die das Wort trägt und die man nur durch genaues Zuhören entschlüsseln kann. Auch die Herkunft des Sprechers beeinflusst die Bedeutung des Wortes. Ein so in seiner Ganzheit verstandenes Wort erscheint wie eine Pflanze mit Wurzeln, Stamm, Zweigen, Blättern, Blüten und Früchten. Eine lineare Schmalspurübersetzung stellt hingegen Schnittblumen dar. Sie sind lebensunfähig. Deshalb führen ungenügend verstandene oder schlecht übersetzte Gespräche zu Missverständnissen.
    Bei den Einheimischen wirkt Sprache in der Regel wie eine Brücke zwischen Ärzten und Pflegepersonal auf der einen und Patientinnen und Patienten auf der anderen Seite. Nur in Ausnahmefällen ist sie eine Mauer. Bei der interkulturellen Kommunikation ist es umgekehrt. Fieber

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