Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
beispielsweise gilt in der südlichen Sphäre als selbständige Krankheit: die Fieberkrankheit. Oft entgeht das den nordeuropäischen Ärzten. Sie suchen nach der Ursache der Erkrankung, behandeln aber nicht das Fieber. Und Sie können sicher sein, dass ein südländischer Patient seinem Arzt jeden Respekt verweigert, wenn dieser das Fieber außer Acht lässt.
Nehmen wir einmal an, die Lage, in der sich ein Patient befindet, sei ein Puzzle, dessen Bestandteile Wörter sind. Die Helferinnen und Helfer fügen mit Geduld und etwas Glück alles zu einem Bild zusammen und verstehen die einheimischen Patientinnen und Patienten. Bei Fremden hingegen bleibt am Ende ein Haufen ungenützter Puzzleteile übrig und eine große weiße Fläche. Die Helferinnen und Helfer müssten Prophetinnen und Propheten sein, um in dieser Fläche die fehlenden Teile des Bildes richtig sehen zu können. Da sie aber in der Regel Normalsterbliche sind, tappen sie im Dunkeln, enttäuscht und lustlos.
Die Worte der libyschen Patientin blieben, auch nachdem sie übersetzt worden waren, den Helferinnen und Helfern unverständlich. Dem Personal war es gleichgültig, von welchem Geschirr und mit welchem Besteck man essen sollte, Hauptsache, alles war sauber. Der Patientin aber schien jede körperliche Heilung suspekt, für die sie gegen religiöse Grundsätze hätte verstoßen müssen. Für sie war Heilung erst an letzter Stelle eine Sache des Körpers.
Im Fall des Irakers stieß meine Erklärung, der Mann brauche seine Verwandten, denn er sei fest davon überzeugt, dasserst ihre Anwesenheit ihn heile, beim Klinikpersonal zunächst auf Ablehnung. Die Mauer der Ordnung stand lange einer Verständigung im Weg. Die Ruhe hat im deutschen Krankenhaus einen hohen Wert. Ihr kommt in etwa die gleiche Bedeutung zu wie Bildern der heiligen Maria in vielen Krankenhäusern des Mittelmeerraumes.
Wie Sie sehen, hat ein Dolmetscher auch mit guter Kenntnis der deutschen Sprache noch genug Probleme beim Übersetzen. Probleme, die in der Unterschiedlichkeit der Kulturen liegen.
Im Alltag spricht das Personal im Krankenhaus in der Regel die Sprache der Mehrheit. Fremde Patientinnen und Patienten beherrschen diese jedoch nur ungenügend und übersetzen ihre Empfindungen – manchmal allein, manchmal mit Hilfe von genauso unbeholfenen Kindern, Freunden oder der herangezogenen Putzfrau oder Köchin des Krankenhauses – aus der Muttersprache linear, was manchmal zur Erheiterung führt. Wenn ein Araber zu seinem Arzt sagt: »Herr Doktor, ich kann meinen Kopf vom Gartenzaun nicht unterscheiden«, ist das noch kein Fall für die Psychiatrie. Der Satz bedeutet auf Arabisch schlicht und einfach: »Ich bin verwirrt« oder »Ich bin durcheinander«. Mehr nicht.
Auch die fremden Patientinnen und Patienten verstehen ihre Helferinnen und Helfer nicht. Wie sollte da Heilung möglich sein?
Der Einheimische spricht mit dem Fremden oft in der Tarzansprache: »Du verstehen? Hier Spritze, nix viel Aua« und »Jetzt kommt Hamham«. Oder er macht die Ohren und den Verstand dicht und quittiert alle Bemühungen eines Fremden, der mit Not einen Satz formulieren konnte, mit einem herrischen »Wie bitte?«.
Ein Libanese, der wunderbar poetisch, fast akzentfrei,aber fehlerhaft sprach, beschwerte sich bei mir: »Sie verstehen mich nicht. Ich bereite einen Satz drei Stunden lang vor und bastle ihn zurecht und quäle meine Zunge mit ihren unaussprechbaren Konsonanten. Und dann sagt die Krankenschwester: ›Wie bitte?‹ Mehr nicht.«
Ich bat ihn, mir diesen einen Satz zu wiederholen. Es war ein richtiger Satz mit falschen Adjektiven, ein typischer Fehler von Ausländern, wenn sie zu charmant oder dramatisch wirken wollen. Sein Satz lautete in etwa folgendermaßen: »Ich habe unsensiblen Durst, können Sie mir bitte ein sympathisches Wasser bringen?«
Die Antwort darauf ist ein Glas Wasser und nicht »Wie bitte?«.
Am schmerzhaftesten ist es natürlich, dass Kranke wegen mangelndem Verständnis länger leiden müssen. Aber wenn schon das Leid fremder Patientinnen und Patienten die Entscheidungsträger und Politiker nicht bewegen kann, die Krankenhäuser an der Schwelle zum 21. Jahrhundert aus den Fängen des nationalistischen 19. Jahrhunderts zu befreien und sie zeitgemäß auszurüsten, dann sollten diese Leute doch wenigstens bedenken, dass alle Patientinnen und Patienten, die sich wohl fühlen, die besten Werbeträger für ihr Krankenhaus und ihr Land sind. Man könnte den sparsamen
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