Damenschneider
Freunden herüber und fragte freundlich:
»Entschuldigen Sie bitte, würden Sie mir bitte das Salz reichen?«
Wortlos gab es ihm Volkhammer hinüber.
»Scheinbar durchlebt der Koch gerade eine Krise in seinem Liebesleben«, sagte der Unbekannte, während er Volkhammer den Streuer zurückgab.
Verständnislos schaute ihn Necker an.
»Na ja, man sagt doch, man salzt zu viel, wenn man verliebt ist – und dieser Rindsbraten ist leider überhaupt nicht gesalzen«, erklärte er.
»Das schaut aber eigentlich ganz gut aus, was Sie da essen«, warf Volkhammer ein, während er begehrliche Blicke auf den Teller des Nachbarn warf. »Was ist das?«
»Das Gericht nennt sich«, antwortete dieser nach einem kurzen Blick in die Speisekarte, »›Alt Wiener Rinderbraten mit Speck-Pilzen und Serviettenknödel‹.«
»Ist es so gut, wie es ausschaut?«
»Warten Sie einen Moment …«, genießerisch schloss er die Augen, während er ein Stück des nunmehr gesalzenen Fleisches in den Mund schob und lustvoll darauf herumkaute. »Jetzt ist es köstlich!«
»Wie heißt das noch mal?«
Freundlich lächelnd reichte der Unbekannte ihm die Speisekarte herüber.
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihr Gespräch belauscht habe, ich weiß, das gehört sich nicht, aber wenn man alleine ist, unterhält man sich halt damit, dass man so herumhört, was die anderen sich erzählen«, sagte der Mittzwanziger mit einem entwaffnendem Lächeln, »zumal wir in einem ähnlichen Metier tätig sind.«
Verwundert schauten die beiden den jungen Mann an.
»Was glauben Sie denn, in welchem Metier wir tätig sind?«, fragte Volkhammer vergnügt.
»Soweit ich verstanden habe, haben Sie beruflich mit Toten zu tun. Ich nehme an, dass Sie«, er wandte sich an Necker, »Pathologe oder Gerichtsmediziner sind … – und da wollte ich Sie etwas fragen.«
»Ja, das ist schon richtig, dass ich Gerichtsmediziner bin«, antwortete Necker zurückhaltend, der schon befürchtete, mit den üblichen Fragen nach Details seiner Tätigkeit behelligt zu werden, »aber ich kann mir nicht vorstellen, was daran so interessant sein könnte.«
»Dazu müsste ich Ihnen erst einmal erklären, was ich mache … darf ich das, oder wollen Sie lieber Ihre Ruhe haben?«, fragte er vorsichtig.
»Ich finde, wir sollten uns anhören, was uns dieser junge Mann zu sagen hat«, sagte Volkhammer aufgeräumt zu seinem Freund, dem die Sache offensichtlich noch immer nicht ganz geheuer war. »Setzen Sie sich doch einfach kurz zu uns, wenn Sie fertig gegessen haben, oder was meinst Du, Nekro?«
Der Angesprochene machte eine einladende Handbewegung, sagte aber sonst nichts.
»Danke«, sagte der Mann herzlich und setzte sich nach der raschen Beendigung seiner Mahlzeit an ihren Tisch, »ich geh auch gleich wieder. Zuerst sollte ich mich einmal vorstellen, mein Name ist Markus Lichtenthal. Ich bin Fotograf, und zwar nicht im herkömmlichen Sinne, sondern ich veröffentliche meine Fotos im Web in so genannten ›Microstocks‹. Gegen eine kleine Gebühr können sich die Kunden dann die Fotos herunterladen und sie für ihre Zwecke benutzen.«
»Und das rechnet sich?«, fragte Volkhammer beiläufig, nachdem ihn Lichtenthal erwartungsvoll angeschaut hatte.
»Na ja, die Menge macht’s. Ob Sie Ihre Freunde zu einer Party einladen oder Werbung für Ihre Tätigkeit machen wollen. Um eine Annonce oder Einladung effektvoll zu gestalten, brauchen Sie heutzutage Bilder – und die finden Sie in den Microstocks. Das ist ein riesiger Markt, der die herkömmliche Werbefotografie auf die Dauer ablösen wird. Selbst die großen Firmen greifen schon darauf zurück, weil sie sich damit teure Models und Fotografen sparen. Da jedoch der Markt mit Aufnahmen von Schönen und Reichen langsam gesättigt ist, bin ich auf die Idee verfallen, einmal Aufnahmen anzubieten, die nicht nur die heile Welt vorgaukeln.«
»Und was haben wir damit zu tun?«, fragte Necker unbehaglich, der schon zu ahnen schien, was auf ihn zukommen würde.
»Erinnern Sie sich noch an die Benetton-Reklamen in den Neunzigerjahren? Als sie mit einem Aids-Kranken im Endstadium für die United Colours of Benetton Werbung machten? Das gab damals einen riesigen Aufstand. Und was hat einen größeren Reklamewert als eine weltweite Empörung? Unbezahlbar war das. Oder die Nonne, die einen Priester küsst? Dagegen ist die Kirche Sturm gelaufen, und Benetton war in allen Medien. Und genau auf solch Tabu brechende Aufnahmen will ich mich jetzt
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