Damian
hinein. Schweißperlen haben sich auf seiner kalten Stirn gebildet. Was hat er sich nur dabei gedacht, elender Narr! Wem wollte er etwas vormachen? Hat er denn immer noch nicht gelernt, nach so vielen Jahrhunderten? Er schüttelt sacht den Kopf und die bittere Erkenntnis erfasst ihn mit aller Macht, wieder einmal. Er wollte dazu gehören, einer von ihnen sein. Er wollte mit seinen Gästen gemeinsam ein Abendessen genießen. So, wie er es noch vor vielen hundert Jahren jeden Abend mit Selbstverständlichkeit tat. Was für eine hirnverbrannte Idee! Er gehört nicht dazu. Er ist nicht wie andere Menschen. Er ist anders. Und doch verspürte er tief in seinem Inneren diesen fatalen Wunsch einmal wieder zu den Sterblichen zu gehören. Er wollte mit Rachel zu Abend essen, so, als wäre er nicht das, was er seit drei Jahrtausenden ist. So, als wäre er ein ganz normaler Mensch. „Trottel!“, zischt er, als er sich nun erhebt und die Spülung betätigt. Er taumelt zum Waschbecken, öffnet den Wasserhahn und lässt das kalte Wasser in seine Hände rinnen. Immer wieder wischt er sich das kühle Nass über das Gesicht, bis er schließlich nach einem Handtuch greift. Er trocknet sich ab und wirft das Frottee danach achtlos zur Seite. Damian hält immer noch den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen. Mein Gott, was ist bloß los mit ihm. Hat er denn vollkommen den Verstand verloren? Schließlich hebt er den Kopf und sieht in den Spiegel. Ein blasses Gesicht mit blutunterlaufenen Augen und eingefallenen Wangen starrt ihm entgegen. Er kann das Rot in seinen Augen zwar nicht erkennen, aber er weiß, dass die dunkelgraue Schattierung um seine Iris blutrot ist. Seine Haut hat sich straffer um seinen Oberkiefer gespannt, sein Speichel schmeckt bitter und die Spitzen seiner Eckzähne drängen schmerzhaft hervor. Das Monster blickt ihm entgegen, herausfordernd und zynisch. Seine Hände krampfen sich um den schwarzen Marmor des Waschtisches. Wut und Enttäuschung kochen in ihm und scheinen ihn schier zu überwältigen. Es wäre nicht das erste Mal, dass seine geballte Faust mit brutaler Wucht das Gesicht im Spiegel zertrümmert. Er ringt mit sich, länger als so manches andere Mal, bis er sich wieder unter Kontrolle hat und den Blick von der hassverzerrten Fratze vor sich abwendet, um in sein Schlafzimmer zu gehen.
Es ist dunkel. Vom Balkon her weht ein leichter Wind vom Tal herauf, der sacht mit den Vorhängen des Baldachins spielt. Damian legt sich auf sein Bett. Das Monster in ihm ist verstummt und sein Magen scheint auch endlich wieder Ruhe zu geben. Er verschränkt die Arme hinter seinem Kopf und denkt über die letzten Stunden nach. Rachels Anwesenheit löst eine nicht definierbare Unruhe in ihm aus. Er fühlt sich zu ihr hingezogen und kann kaum den Blick von ihr lassen. Damian hat sich schon mehr als einmal gefragt, ob sie wohl in festen Händen ist. Er atmet tief ein und aus und legt seine rechte Hand auf seine Brust, dort wo sein Herz langsam und stetig schlägt. Sollte es tatsächlich noch ein letztes Mal geschehen? Sollte er noch einmal das Glück haben eine Gefährtin zu finden? Eine Frau, die sein kaltes Herz mit ihrer Liebe erwärmt? Oder reizt Rachel ihn nur als kleines Abenteuer? Damian dreht den Kopf zur Seite und schaut aus dem offenen Fenster. Die Sterne funkeln hell am nächtlichen, fast schwarzen Himmel. Er muss sich darüber klar werden, was sie ihm bedeutet. Will er sie nur verführen und in sein Bett bekommen? Oder ist da mehr? Wie lange ist es her, dass er diese Gedanken hatte, diese seit langem nicht mehr empfundenen Bedürfnisse? Wann hat er sich das letzte Mal für eine Frau ernsthaft interessiert? Und wir reden hier nicht davon, ihr Blut zu trinken oder von schnellem, bedeutungslosem Sex. Wieder atmet er tief ein und aus. Sex…, natürlich kann er sich daran erinnern, wann er das letzte Mal Sex hatte. Vor ungefähr fünf oder sechs Monaten, vielleicht. Oder ist es doch schon länger her? Damian runzelt nachdenklich die Stirn. Es bedeutet ihm nichts mehr. Es ist genauso bedeutungslos geworden, wie alles in seinem verfluchten Leben. Natürlich hat sein Körper die Befriedigung bekommen, die er eigentlich nicht mehr benötigt, aber ansonsten war es…, nichts. So wie alles nur noch ein großes, dunkles Nichts ist. Und doch scheint plötzlich alles anders. Wieder denkt er an Rachel und ihre wundervollen Augen, deren Farbe er nur erahnen kann. Er lauscht in sich hinein, versucht zu ergründen, was in ihm
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