Damiano
Schnee.«
Mit kalten, nervösen Händen suchte Damiano unter seinem Umhang und fand die Laute. Er zog sie hervor.
»Sieh, Seraph. Ich habe alle Saiten gelockert, da ich wußte, daß die Kälte gefährlich ist.«
Raphael kniete im Schnee nieder und nahm das Instrument in beide Hände. Eine nach der anderen justierte er die acht Saiten.
»Lockerer brauchen sie nicht zu sein«, bemerkte er. »Es sei denn, du steigst auf einen Berggipfel.«
Damiano seufzte bei dem Gedanken, wieviel es zu erklären gab.
»Ich will nur bis zu den Almen. Dorthin sind die Leute von Partestrada nämlich geflohen. Danach – ich weiß nicht, Raphael. Vielleicht gehe ich nach Frankreich oder nach Deutschland, aber erst – sag, was soll ich für meine Heimatstadt tun?«
Raphael sah Damiano an, bis dieser das Gefühl hatte, allein unter den Sternen zu stehen. Hätte er gewußt, wie er es anstellen sollte, so hätte er dem Engel seine ganze Seele geöffnet, samt der Geschichte jedes einzelnen Gedankens, und hätte dann Raphael urteilen und seinen Weg bestimmen lassen. Was es auch an Schmerz, Anstrengung oder weltlicher Schande gekostet hätte, Damiano glaubte, er hätte getan, wie Raphael ihm geheißen.
Doch er wußte nicht, wie er seine Seele öffnen sollte, und er war sicher, daß Raphael nicht die Absicht hatte, ihm zu sagen, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Deshalb senkte Damiano den Blick lieber zum Korken und grünen Glas der Weinflasche.
Raphaels Worte kamen ihm völlig überraschend.
»Bete, Damiano! Bete für die Menschen von Partestrada und bete für dich. Bitte um Rat und Führung. Du wirst beides vielleicht brauchen.«
Der Engel sprach klar und scharf, und Damiano errötete ob seiner Unterlassung.
»Natürlich, Seraph. Seit gestern – geht alles drunter und drüber, und ich habe es vergessen. Aber bist nicht du mein Führer und Ratgeber?«
Raphael lachte, und Damiano ebenfalls. So ging das immer.
»Nein, Dami, ich bin nicht als Abgesandter des Höchsten hier. Es war dein Wille, der mich rief, und dann mein Wille, der sich entschied zu kommen. Ich bin nicht dein Ratgeber, sondern dein Freund.«
Damiano senkte den Kopf, um zu beten, doch augenblicklich hob er die Augen wieder und sah Raphael mit nach hinten gefalteten Schwingen vor sich sitzen. Macchiata lag wie ein leicht angeschmutztes, weißes Schweinchen im Schoß des Engels.
»Geh nicht!« bat Damiano. »Ich habe Angst, du wirst fort sein, wenn ich wieder aufsehe. Dabei bist du doch eben erst gekommen.«
Raphael nahm Damianos Hand und hielt sie fest.
Damiano und seine Hündin aßen von ihren Vorräten, Raphael sah zu. Sie sprachen nicht von Pardo und Partestrada, auch nicht von den Reitern, die sicherlich das Oberland auf der Suche nach den unglücklichen Bürgern der Stadt durchkämmten. Ja, als Damiano am Nachmittag, während er die Straße entlangstapfte, an ihr Gespräch zurückdachte, schien es ihm, als hätten sie über gar nichts gesprochen. Raphael hatte Macchiatas Aufforderung, mit ihnen die Straße hinaufzuwandern, ausgeschlagen. Er sei kein großer Wanderer, hatte er gesagt.
Am Nachmittag bewölkte es sich, und der Schnee, den die Sonne aufgeweicht hatte, begann zu frieren. Die schwarzen Mauern immergrüner Bäume hatten etwas Monotones an sich. Seit dem Morgen hatten die Wanderer kaum etwas anderes gesehen. Immer noch ging es steil aufwärts.
Als die Schatten so lang geworden waren, daß sie die Straße verdunkelten, war es glatt geworden, und Damiano fürchtete für seine Laute. Wenn er auf das zarte, kleine Instrument stürzte, würde er es zertrümmern.
Er stürzte tatsächlich, stützte sich aber mit der rechten Hand ab, so daß der Laute nichts geschah. Da er ein Hexer war und daher Linkshänder, dankte er Gott dafür, daß er sich die rechte Hand gestaucht hatte und nicht die linke. Aber der Sturz machte ihm deutlich, daß an einen Nachtmarsch nicht zu denken war.
Die Sonne war untergegangen, als Damiano auf der Höhe des Hangs zur Rechten der Straße ein Licht blitzen sah. Er war so erschöpft, daß er nur dümmlich hinaufstarren konnte.
»Was kann das sein?« murmelte er vor sich hin.
»Wurst«, antwortete Macchiata prompt. »Und drei Menschen. Männer. Mit einer Öllampe. Und Wein.«
Damiano riß verblüfft den Mund auf.
»Das hast du alles mit deiner Nase wahrgenommen?«
Macchiata wedelte mit dem Schwanz. »Meine Nase wird besser, wenn ich hungrig bin. Wollen wir nicht raufgehen und einen schönen Abend wünschen,
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