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Damiano

Damiano

Titel: Damiano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. MacAcoy
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seinem Namen. Er stand vom Feuer auf.
    Durch eine Lücke im aufgeschichteten Holz trat er ins Freie. Die Kälte traf ihn wie ein Schlag.
    »Ich brauche meinen Umhang wieder«, murmelte er.
    Nichts rührte sich. Erst als er sich umdrehte und seine dunklen Augen auf die Männer richtete, wurde das pelzgefütterte Kleidungsstück herausgereicht.
    »Wenn ich eine Ziege herbeilocke«, sagte er zu Denezzi, »müßt ihr mir Zeit lassen wegzugehen.«
    Denezzi wandte das Gesicht ab.
    Damiano stapfte durch den knirschenden Schnee zur Mitte der Almwiese. Die länger werdenden Schatten tauchten das Feld in einen bläulichen Schimmer. Er knüllte seinen Umhang unter sich zusammen und setzte sich auf einen runden Stein. Das Ende seines Stabs stand zwischen seinen Stiefeln; er lehnte sein Gesicht an den untersten Silberreif im schwarzen Holz.
    Eine halbe Minute lang ließ er seinen Geist frei schweben. Dann sprach er ein lautloses »komm«, und ungewünscht tauchte das Bild eines Schwerts vor ihm auf. Er hörte, wie es zischend aus der Scheide gezogen wurde. Mit Willenskraft zerriß er das Bild, nur um sehen zu müssen, wie es sich von neuem formte, diesmal die Gestalt einer Mistgabel annahm, deren Zinken aus dem Schnee ragten.
    Er war sehr müde. Er versuchte es noch einmal, und sein Ruf brachte ihm den Gestank eines Schlachthauses, einer dumpfen, vom Sterben erfüllten Hütte. Mutter Gottes! Er wollte das nicht tun. Er wollte nur schlafen, hier in der Sonne, wenn sich kein besserer Ort bot.
    In der Leere seines Geistes sah er, wie schön es wäre zu rasten. Er erinnerte sich des honigfarbenen Felsens, wo er gegessen und mit Raphael gesprochen hatte – nur ein Tag war seitdem vergangen. Er spürte die Hitze des Kamins, in dem ein Stuhl brannte. Verschwenderisch, aber wunderbar warm.
    Erinnerungen an diese Wiese, auf der er saß, stiegen in ihm auf; die Wiese, wie sie im Sommer gewesen war, als sein Vater die Schafe mit Teerpflastern und Beschwörungen behandelt hatte. Gras, das ihm bis zu den aufgeschlagenen Knabenknien reichte. Nur dort, wo die Herden es abgefressen hatten, war es kurz und braun. Es war kühl gewesen damals, aber angenehm. Schafsmilch. Ein Nickerchen am Mittag, umgeben von halb ausgewachsenen neugierigen Lämmern.
    Die ganze Zeit, während Damiano träumte, hielt sein Ruf an, stieg in die Lüfte, wuchs, folgte dem Wind wie Rauch.
    Er erinnerte sich, wie er damals erwacht war und den ganzen Tag nichts zu tun gehabt hatte. Vor einer Woche noch hatte er dies erlebt. Er erinnerte sich der Flut warmer Töne, die Raphael der Laute entlockte. Er erinnerte sich an Carla, die auf dem Balkon saß und nähte, während er ihr aus dem Goldschnittband des Aquinas vorlas. Er erinnerte sich, wie still und rasch die Tage vor diesem Krieg dahingeflogen waren.
    Ein Schatten verdunkelte das Sonnenlicht, und Damiano öffnete die Augen. Ein Gesicht blickte ihn an: Sfengia, der Käser. Die Augen des Mannes waren feucht vor Sehnsucht. Er war nicht allein; Damiano saß in der Mitte eines Kreises regloser Gestalten, der immer größer wurde. Sie wurden angelockt vom Sonnenschein, vom Sommer, von den Erinnerungen an den August, an den Staub der Straßen, der die Füße und Beine eines Knaben bedeckte. Sie wurden angelockt von Damianos Ruf.
    Er spürte ihre Seelen um sich herum. Sie waren ihm geöffnet. Da war Sfengia, der sich um seine drei Töchter ängstigte; dort Belloc, schwerfällig und milde. Hinter ihm, von ihm angezogen und doch voll Widerwillen, war Denezzi.
    Der Hexer lächelte wehmütig. Nie zuvor hatte er die Aufmerksamkeit anderer so gefesselt. Es war sehr angenehm, die Seelen der Menschen beeinflussen zu können. Das sollte Paolo ihm erst einmal nachtun.
    Plötzlich wußte Damiano, wie er seine Aufgabe erfüllen konnte. Es war ganz einfach. Er sah sich selbst als Tier, als ein Huftier, ein Schaf oder eine Kuh oder vielleicht eine Ziege. Er ließ seine Träume sich in Übereinstimmung mit seinem Tiersein verändern, während der Ruf anhielt.
    Grünes Gras. Das war gut. Hohes, trockenes Gras. Sprudelndes Wasser. Sonne.
    Kein Geschirr. Keine Drähte, die in die zarten Lippen einschnitten. Damiano berührte die Seele, die er gesucht hatte, die warme, wortlose Tierseele. Sie öffnete sich ihm zutraulich und ohne Furcht. Sie antwortete ihm aus nächster Nähe. Ohne Argwohn öffnete sie sich ihm und ließ ihn herein. Seine Visionen von grünen Wiesen machte sie sich zu eigen, verschönerte sie noch. Salz. Ein warmer Rücken, auf

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