Damiano
Delstrego. Wo seid Ihr gewesen?«
Die Antwort kam stockend.
»Ich war im Körper eines toten Tieres gefangen. Tot. Ich wußte, daß ich tot war. War es wirklich nur eine Nacht? Ich glaubte, es wären Jahrzehnte. Ich glaubte, meine Zeit wäre vorbei. Ich glaubte, es gäbe zum Jüngsten Tag kein Entrinnen.« Seine Augen waren immer noch sehr groß, braun und schmelzend wie die einer Kuh, und sein Gesicht war ohne Ausdruck.
Der Schmied seufzte. »Wenn Ihr gestern in der Kuh gefangen wart, dann habt Ihr die Nacht in hundert Mägen verbracht. Ich glaube, es geht Euch immer noch nicht gut, Damiano. Bleibt heute hier, während ein Trupp nach Aosta reitet. Es ist noch genug Feuerholz da, und ich habe Euch etwas Fleisch aufgehoben.«
Damiano hatte aufstehen wollen, doch bei Bellocs letzter Bemerkung revoltierte sein Magen. Er würgte, doch er war so leer wie ein trockener Eimer.
»Nein«, keuchte er. »Ich reite mit Euch. Ihr braucht mich, wenn Ihr finden solltet, was Ihr sucht. Und ich – mir wird langsam klar, was zu tun ist. Ich reite mit Euch.«
Der Zug bewegte sich in östlicher Richtung bergab, ritt an dem verlassenen Dorf vorüber, wo die Trümmer einer Hütte schon von einer feinen weißen Schneedecke verschleiert waren, weiter über den Lys, der Straßenkreuzung entgegen. Es war ein düsterer Zug von Männern. Sie nahmen ihre Pferde hart ins Geschirr, aber sie waren keine Soldaten.
Damiano ritt einen von Denezzis Wallachen. Als Zügel diente ein Lederriemen, einen Sattel gab es nicht. Das Pferd war schwarz; alle vier Pferde Denezzis waren schwarz. Damiano dachte daran, was Denezzi am vergangenen Nachmittag gesagt hatte – wie schwer es einen der Männer treffen würde, sein Pferd dem Schlachtmesser opfern zu müssen. Und Denezzi selbst, der Reiche, besaß vier Pferde: eines, das er ritt, zwei, die seine Lasten trugen, eines als Ersatz. Damiano lächelte grimmig.
Das Pferd war nervös unter ihm. Nun, das war kein Wunder, da Damianos Geist noch immer von kaltem, weinendem Blut erfüllt war. Der Ruf, der am Tag zuvor ausgegangen war, konnte nicht völlig zum Schweigen gebracht werden.
Vom gemächlichen Tempo gelangweilt, wendete er sein Pferd noch einmal zum langgezogenen Schwanzende des Zugs, wo die Männer auf Wagenpferden und Mauleseln ritten. Einer, Aloisio mit Namen, ritt sogar auf einem Esel. Seine bloßen Füße schleiften durch den Schnee. Er war Gerber von Beruf und trug weder Schwert noch Spieß. Aber er besaß ein langes, scharfes Messer, und seine junge Frau befand sich im Zug nach Aosta.
»Aloisio, kann der Esel nicht schneller gehen?« fragte Damiano von der Höhe seines schlanken Rappen herunter. Seine Worte hätten eigentlich wärmer klingen sollen.
Der Gerber hob den Kopf, vorsichtig, doch ohne Furcht.
»Nein, Signor Delstrego, das kann er nicht. Höchstens wenn ich von hinten schiebe.«
Damiano nickte resigniert und versuchte zu lächeln. Seine Lippen waren spröde. Er blieb neben Aloisio am Ende des Zuges, wo er dafür sorgen konnte, daß niemand zurückblieb.
Die majestätischen Gipfel, die in der Morgensonne wie Kristall schimmerten, standen rechts von der Straße in der Ferne. Damiano musterte sie aus zusammengekniffenen Augen und fragte sich, was er am Tag zuvor noch in ihnen gesehen hatte. Sie türmten sich aus unerklimmbarem Stein auf, so wie sie es immer gewesen waren, und bargen weder Nahrung noch Schönheit in sich.
Bei den Gedanken an die Berggipfel und seine frühere Begeisterung über sie, fiel ihm Macchiata ein. Wieder fühlte er ihre feuchte, drängende Nase an der Innenfläche seiner Hand, hörte ihre aufgeregte Sorge, einer Glucke ähnlich, während sie ihn stieß und puffte, um ihn zu veranlassen, aus dem nassen Schnee aufzustehen. In dem Universum aus Asche, in dem er sich befand, vermochte die kleine Hündin einen winzigen Funken der Freude zu entzünden.
Mit hechelnder Zunge sprang sie keuchend neben dem stolzen Roß her und beschnupperte jeden Fleck und jedes Loch im Schnee am Straßenrand. Noch ein paar solch anstrengende Tage, und sie würde nicht mehr so unglaublich dick sein.
Damiano legte seine Hand auf den Kopf des Pferdes und befahl ihm ohne Worte, zur Spitze des Zuges zurückzukehren, wo Denezzi ritt. Das Tier machte einen Sprung bei der Berührung, der Damiano beinahe von seinem Rücken abgeworfen hätte.
Bald schon kam die Straßenkreuzung in Sicht. Damiano führte seinen Wallach zu der Schneeböschung, wo seine eigene Spur vom Wächterhäuschen zur
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