Damiano
mit einer gewaltigen muschelförmigen Lehne und weichen Moospolstern aussah.
Am Fuß des tiefroten Felsens wucherte üppiges Rosmaringesträuch, an dem um diese Zeit blaue Blüten leuchteten. Emsiges Bienengesumm empfing Damiano.
»Ich bin’s, Dami, goldene Geschöpfe«, rief Damiano, als er den Anstieg begann. »Aus dem Weg, damit ich euch nicht zertrete, oder ihr mich stecht.«
Gehorsam schlugen die Bienen einen weiten Bogen um ihn.
Dies war ein Sessel für einen Riesen. Damiano konnte sich der Länge nach auf den Moospolstern ausstrecken und hatte selbst dann noch Platz für sein Gepäck und die rastlose Hündin. Sie aßen hartes, altes Brot, Käse und eine Karotte, die Damiano aus der Küche des Gasthauses gestohlen hatte. Dann füllte er an einem kleinen Tümpel, wo ein Haufen Steine den Bach eindämmten, seine Holzschale mit Wasser. Winzige silberne Fische, kaum einer größer als ein Fingernagel, Schossen um seine Hände herum. Er hoffte, daß ihm keiner in sein Trinkwasser geraten war.
Als er niederkniete, sah er direkt vor sich ein Grüppchen weißer Krokusse. Er brach drei ab und nahm sie mit zu seinem Felsen, wo er sich bäuchlings ausstreckte und in die weißen Blütenkelche hineinblickte.
Nach einer Weile wurden ihm die Augen schwer. Er legte die Blüten in das dunkle Moos und schloß die Lider. Macchiata machte es sich neben ihm bequem.
»Ich wollte – «, begann sie und verstummte.
»Was möchtest du denn, meine Kleine?« murmelte Damiano.
Es blieb still. Er wandte sich der Hündin zu, die sich nervös die Lefzen leckte.
»Ich – es wäre lustig, jetzt mit Raphael zu spielen«, stieß sie schließlich hervor. »Du hast ihn lange nicht mehr gerufen.«
Damiano schloß die Augen wieder.
»Ja, das ist wahr. Aber ich kann mir nicht denken, daß er deshalb vor Ungeduld vergeht. Er ist ein gesegneter Engel, Macchiata, und wir sind – Geschöpfe der Erde. Er hat die ganze Ewigkeit für sich, während wir gewissermaßen nur die Stunden zwischen dem Mittagsmahl und dem Abendbrot für uns haben.
Und er hat für die Angelegenheiten der Menschen kein Verständnis.«
Damiano gähnte wieder, und da sein Kinn auf dem bemoosten Stein ruhte, mußte er bei dieser Anstrengung den Kopf heben. Dann runzelte er die Stirn.
»Eigentlich habe ich auch kein Verständnis für die Angelegenheiten der Menschen, Macchiata. Ich kann die Angelegenheiten der – sagen wir, der Bienen – weit besser würdigen. Aber ich bin nun mal ein Mensch, deshalb muß ich mich entsprechend verhalten.«
Damiano wälzte sich auf den Rücken und legte sich auf jedes Auge den Blütenkelch eines Krokus.
»Ich kann die Sonne durch sie sehen«, bemerkte er. »Weiß gefärbt, mit ein bißchen Rosa und Lila.« Als er die Blüten wegnahm, haftete goldener Blütenstaub an seinen Wimpern. »Diese Krokusse erinnern mich irgendwie an Raphael – weiß und golden und strahlend. Obwohl das Weiße natürlich nur sein Gewand ist.«
Wieder gähnte Damiano, drückte die Augen zusammen und verrieb sich den goldenen Blütenstaub im ganzen Gesicht.
»Hm – aber da das, was wir sehen, wenn wir Raphael sehen, nur ein Bildnis ist, das er um unserer Sterblichkeit willen angenommen hat, ist er vielleicht das Gewand, und es ist gar nichts darunter. Welcher Mensch würde es wagen, das Gewand hochzuheben, um nachzusehen?«
»Ich weiß, wie Raphael unter dem Gewand aussieht. Ich habe geschaut«, sagte Macchiata.
Damiano riß die Augen auf.
»Du hast was?«
»Ich habe geschaut. Ich hab’ den Kopf darunter geschoben und geschaut, Herr. Vor langer Zeit. Ich war neugierig.«
Damiano leckte sich aufgeregt die Lippen.
»Und was – nein, laß, meine Kleine. Laß gut sein. Ich glaube nicht, daß ich es wissen sollte.«
Seufzend wandte er sein Gesicht der Sonne zu und erwartete den Schlaf.
Auch ihm fehlte der Engel. In den drei Jahren, seit er das erstemal die Kühnheit besessen hatte, die Worte der Aufforderung auszusprechen – das war nach dem Tod seines Vaters gewesen, als vieles in seinem Leben leichter geworden war –, war niemals mehr als eine Woche ohne Unterrichtsstunde vergangen. Tatsächlich war die Laute, wenn sie auch wichtig war, nur die Brücke, über die Raphael, Damianos bester Freund, zu erreichen war.
Zweitbester Freund, sagte er zu sich, als er eine feuchte Nase an seiner Hand fühlte. Das machte insgesamt zwei Freunde, es sei denn, er zählte Carla mit, die er niemals wiedersehen würde.
Während Damiano da auf dem Moos in der
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