Damiano
Gesichtszüge, als er den Arm hob und über die Stadt hinaus zu sechs Hügeln wies, die so dicht beieinander standen, als wollten sie sich gegenseitig wärmen.
»Seht Ihr die Schwestern?« fragte er. Seine Stimme klang Damiano scharf und rauh in den Ohren. »Welche unterscheidet sich von den andern?«
Damiano spähte auf seinen Stab gestützt zu den Hügeln hinüber.
»Zwei sind größer als die anderen«, stellte er fest. »Beinahe schon wie ein Berg. Einer hat eine runde Kuppe und keinen Schnee auf der Südseite. Welchen Unterschied habt Ihr gemeint?«
Der Wirt schob die Hände in seine Ärmel.
»Erscheint es Euch denn nicht im geringsten merkwürdig, junger Mann, daß ein einziger Hügel unter vielen nicht mit Schnee bedeckt ist? Und er ist es nie! Das ist der Hügel Saaras, und sie ist eine Hexe. Ich würde keinem Mann raten, da hinaufzuklettern.«
Damiano wandte den Blick nicht von den hohen Hügeln, wo viele Falken in der grauen Luft kreisten. Er lächelte über sein Glück. Da war er nun tatsächlich in der Lombardei, wußte nicht einmal, wann er Piemont verlassen hatte, und schon hatten ihm Zufall oder Bestimmung seinen Wunsch erfüllt.
»Ich weiß nicht, ob das in der Tat auf Zauberei zurückzuführen ist, Herr Wirt. Denn seht, der grüne Hügel ist durch die beiden höheren Hügel vor dem Nordwind geschützt. Gewiß ist es dort am wärmsten, so daß der Schnee nicht so schnell liegenbleibt.«
Der rundliche Wirt trat einen Schritt von Damiano zurück. Er brummelte vor sich hin und spie in den Schnee.
»Glaubt, was Ihr wollt, Franzose, aber wir, die wir hier leben, wissen, was in unseren Hinterhöfen vorgeht. Hexerei gibt es, ganz gleich, was Ihr auf Lateinisch in Euren gelehrten Büchern schreibt.«
Damiano war sprachlos. Der Mann hatte ihn so gründlich mißverstanden, daß er nicht wußte, wo er mit einer Richtigstellung anfangen sollte.
Aber der Wirt war noch nicht fertig.
»Hier war schon mal einer wie Ihr. Der kehrte hier ein und fragte nach Saara. Er kam aus dem Süden und hatte eine scharfe Zunge und ein scharfes Schwert. Er verschwand im Garten der Hexe – so nennen wir den Hügelhang dort – und ward nie wieder gesehen.«
Damiano kniff die Augen zusammen und musterte das ferne Fleckchen Grün mit gespanntem Interesse.
»Ich habe kein Schwert«, murmelte er. »Und was meine Zunge angeht, so hoffe ich, daß sie nicht scharf, sondern honigsüß ist, denn ich muß die Dame überreden, mir zu helfen.«
Der dicke Wirt lachte und hustete und spie wieder aus. Dann ging er ins Haus zurück und ließ den, den er für einen jungen französischen Gecken hielt, mit seinem aufgetakelten Spazierstock und seiner Laute einfach stehen.
Damiano ließ den Wallach und die Silbermünze in der Obhut des Stallbesitzers, dann machte er sich mit Macchiata auf, den kleinen See zu umrunden, der zwischen Ludica und den Schwestern lag. Es war schon eine Weile her, seit er das letztemal eine längere Strecke zu Fuß gegangen war; die Knie schmerzten.
»Meine Knie sind immer noch nicht in Ordnung«, sagte er bekümmert zu der Hündin. »Sie sind ganz grün und blau. Vielleicht ist das einer von Satans Scherzen, der mich daran erinnern soll, daß ich vor ihm auf die Knie gefallen bin. Dabei war das überhaupt nicht meine Absicht.«
Aber solche Gespräche interessierten Macchiata nicht. Sie lief auf dem Weg, der am Wasser entlangführte, mit gespitzten Ohren und wedelndem Schwanz voraus. Damiano trottete hinterher und stöhnte unter der Last des Bettzeugs, des Stabes und der Laute, die er besser im Gasthof zurückgelassen hätte. Es schneite nur noch spärlich, und bald hörte es ganz auf. Gegen Mittag, als die Wanderer den Fuß der Hügelgruppe erreichten, schwamm der Himmel in bauschigen weißen Wolken.
An zwei der Hügel trat der felsige Untergrund grau und nackt hervor; das waren die besonders hohen. Die übrigen, grasbewachsene Kuppeln, waren fast alle mit einer dünnen Schneedecke überzogen – nur einer nicht: der mittlere Hügel war von Wald bedeckt, und sein Südhang leuchtete saftig grün. Ein schmaler Pfad – kaum mehr als ein Ziegensteig – führte durch Ginster und Heidekraut zu ihm hin.
»Das ist nicht schwierig«, murmelte Damiano, während er sich seinen Weg durch das Buschwerk bahnte. »Hier kommt offenbar regelmäßig jemand zu Besuch und hält den Weg offen.«
Macchiata verschwand im Unterholz; nicht einmal ihr Schwanz war mehr sichtbar. Doch Damiano konnte an ihrem Schnüffeln genau
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