Damiano
Ellbogen aufstützte. Er öffnete die Augen.
»Geh nicht«, flüsterte er. »Und so jung bin ich gar nicht.«
Die Frau blieb stehen. Argwohn und Vorsicht standen in ihren großen Augen. Damiano rührte sich nicht, und obwohl sie nicht versuchte, noch einmal in seinen Geist einzudringen – er hätte sie nicht daran gehindert, da er nichts zu verbergen hatte –, erblühte langsam wieder ihr Lächeln.
»Du bist ein Hexer«, sagte sie, und in ihrer Stimme lagen Erheiterung und Überraschung. Selbst wenn sie nicht sang, hatte ihre Stimme eine besondere Melodie, wie man sie weder in der Lombardei noch sonstwo in Italien kannte. »Du bist zweifellos ein Hexer, und du weißt es auch. Aber deine schwarzen Augen sind gefährlicher als Hexenzauber, Knabe. Sieh mich nicht so an.«
Damiano errötete bis zu den Haarwurzeln.
»Du machst dich über mich lustig«, sagte er. »Was habe ich getan, um das zu verdienen?«
Aber in Wahrheit ließ er sich gern von ihr necken. Überhaupt gefiel ihm alles an dieser Frau von Minute zu Minute besser. Das war Saara. Das konnte nur Saara sein.
Sie hatte das runde Gesicht eines siebzehnjährigen Bauernmädchens und die wissende Ausstrahlung einer belle dame der Provence und die Anmut und Beweglichkeit eines der Waldgeister, die selbst Damiano nur aus dem Augenwinkel zu sehen bekam. Aber sie war weder Bauernmädchen noch große Dame noch heidnischer Waldgeist; sie war eine wie Damiano, eine menschliche Hexe.
Sie gab keine Antwort auf seine Frage. Statt dessen stemmte sie die Hände in die Hüften.
Damiano setzte sich auf. Er sah, daß sie keinen Stab hatte und offenbar auch keinen brauchte.
»Wer bist du, Knabe?« fragte sie. »Denn Knabe bist du für mich. Ich bin, ich sag’s dir gleich, viel älter als ich aussehe. Und du befindest dich in meinem Garten.«
Plötzlich erinnerte sich Damiano desSüditalieners, den der Wirt in Ludica ihm beschrieben hatte: Ein Mann mit scharfem Schwert und scharfer Zunge, der in Saaras Garten auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Doch als er Saara selbst ansah, hatte er keine Angst.
»Ich heiße Dami«, sagte er. »Damiano. Wir sind aus Piemont hierher gereist, meine Hündin und ich, um mit dir zu sprechen.«
Saara warf einen flüchtigen Blick auf Macchiata, die immer noch verzaubert war und platt wie eine weiße Wanze auf den Moospolstern lag. Mit einem leisen Lachen und einer kurzen Handbewegung befreite sie die Hündin aus dem Bann, die sogleich hinter einem Felsen verschwand.
»Ich würde auch gern mit dir sprechen, Dami. Es ist eine Seltenheit, in der Lombardei einen zu finden, der die Gabe hat. Und noch seltener findet man einen, der einem in Freundschaft begegnet. Aber wenn ich dir gestatte, viel näher zu kommen, wirst du dir einen Feind machen, den du besser nicht haben solltest. Er könnte dir dein lockiges Haupt von den Schultern trennen.«
Sie ließ sich mit gekreuzten Beinen im silbrig schimmernden Gras nieder.
Damiano tat diese Möglichkeit mit einem Schulterzucken ab und glitt vom Felsen herab ins Rosmaringebüsch. Saara sang ein kurzes Liedchen in einer Sprache, die hauptsächlich aus K-Lauten und langgezogenen Vokalen zu bestehen schien. In Damianos Ohren klang es nicht anders als Vogelgezwitscher. Augenblicklich jedoch umschlangen geschmeidige Rosmarinfinger seine Knie und Waden und hielten ihn fest.
»Also gut«, sagte Damiano und ließ sich gehorsam in dem struppigen Gebüsch nieder.
Mit einer Hand griff er hinter sich und tastete nach seinem Stab. Als er ihn gefunden hatte, legte er ihn sich sorgsam quer auf den Schoß.
Saara saß kerzengerade, die gekreuzten Füße über den Knien. Sie deutete auf den Ebenholzstab.
»Ich weiß«, sagte sie, »daß ihr Hexen aus dem Süden euch solcher Stöcke bedient. Ihr liefert euch ihnen aus wie Menschen, die ihre Beine mit Krücken vertauschen. Warum? Jedes eigene Bein ist besser als die schönste Krücke.«
Damiano runzelte unsicher die Stirn.
»Der Stab dient als Brennpunkt, edle Dame – wie eine Linse. Weißt du, was eine Linse ist? Sie ist wie ein Tropfen Wasser, der das Sonnenlicht zu einem hellen Punkt bündelt. Der Stab ist der Brennpunkt, durch den meine Gabe die Welt berührt. Durch ihn werden meine Zauber immer beständiger, von Tag zu Tag. Ich benutze diesen Stab seit Jahren; all meine Kräfte sind auf ihn abgestimmt, und ohne ihn hätte ich nichts.«
»Das ist gefährlich, Knabe. Das macht dich allzu leicht verletzbar, wenn du eine Hilfe dieser Art brauchst. Meine
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