Damiano
Sonne lag, dachte er an die Worte des Teufels und fühlte sich nicht im geringsten verdammt. Wäre nicht die Notlage seiner Heimatstadt gewesen, er wäre der glücklichste Mensch auf der Welt gewesen. Und der schläfrigste.
Welches Instrument spielte Raphael eigentlich für sich? Der Vorschlag mit der Laute war von Damiano gekommen, weil er zufällig eine besaß. Der Engel hatte keine Einwendungen dagegen erhoben. Er schlug die Laute meisterhaft, aber es war nicht anzunehmen, daß sie das einzige Instrument war, das er spielte.
Gabriel – den Damiano nie kennengelernt hatte – blies die Trompete. Natürlich. Aber es gab keinen Grund, weshalb alle Erzengel gleich sein sollten. Spielten sie zusammen, so war es doch vernünftiger, wenn sowohl Bläser als auch Streicher vertreten waren. Immer vorausgesetzt natürlich, man konnte den Bläsern beibringen, die Streicher nicht an die Wand zu spielen. Aber unter Engeln gab es da sicher mehr Rücksichtnahme als unter Italienern.
Auf Gemälden wurden Engel häufig harfespielend dargestellt, aber das kam nur daher, daß die Harfe ein so gewöhnliches Instrument war. Wenn einen die Phantasie verließ, konnte man immer einen Musiker mit Harfe malen. Die dreieckige Form war ja auch leicht zu zeichnen.
Aber Raphael konnte sich Damiano eher mit der Laute oder der Gitarre vorstellen. Oder vielleicht mit einer großen Drehleier mit chromatischen Tasten.
Dann kam Damiano der Gedanke, daß Raphael, da er ein Geist war, gar kein materielles Instrument brauchte; die Bäume konnten seine Musik machen, oder die Gebeine der Erde. Was meinte also der Erzengel, wenn er sagte, »Ich habe mein eigenes Instrument?« Das nächstemal, wenn Damiano ihn sah, würde er ihn ganz direkt fragen, »Raphael, was für ein Instrument spielst du?«
Nachdem Damiano diese Entscheidung getroffen hatte, schlummerte er ein.
Die Bienen summten über ihn hin, flirrend in dichten Scharen. Sie überzogen ihn mit Gold. Sie hatten tausend Stimmen, warm und nasal wie die Drehleier selbst. Es waren die Stimmen von Freunden. Damiano strengte sich an, sie zu hören, eine Einzelstimme herauszuschälen und zu erkennen. Einen einzigen Namen zu kennen.
»Einsam«, flüsterten sie alle zusammen. »Einsamer Knabe.«
Weich und schwer lag die Last der Bienen auf ihm. Er fühlte sie auf seinen Armen, seinem Körper, seinen Lippen. Das goldene Summen widerhallte in seiner Brust. Damiano kämpfte sich aus den Tiefen des Schlafes empor und wußte, daß er verzaubert war.
Eine Hand lag auf ihm, unsichtbar, sanft – so wie vielleicht eine Mädchenhand ein junges Kaninchen zudeckt. Sie war Liebkosung und Gefängnis zugleich. Er hörte Macchiata winseln. Er hörte ein Lied.
»O einsamer Knabe
Ich seh dich im Garten
Ganz allein in dem Garten
im Schlaf in der Sonne.«
Es war die kehlige, tiefe Stimme einer Frau, so volltönend wie ein Schwarm Bienen.
»Knabe«, sang sie. »Einsamer Knabe.«
Damiano drehte den Kopf nach der Stimme und stemmte sich langsam gegen die unsichtbare Hand. Er öffnete seine Augen einen winzigen Spalt und spähte heimlich unter dem dichten Kranz seiner Wimpern hervor.
Ihr Haar war goldbraun und wie bei einem Bauernmädchen zu Zöpfen geflochten. Ihre Wangen waren rosig und hatten kleine Grübchen, denn sie lächelte gerade. Ihre Augen waren grün und braun und golden, und alle diese Töne verschwammen auf eine Art miteinander, die ihm den Kopf wankend machte. Ihr Kleid war blau und mit roten und gelben Sternen bestickt. Damiano fand sie wunderschön.
Der Bann, der ihn fesselte, war nicht stark; er hätte ihn mit einem einzigen Wort brechen können. Aber es war die intimste Berührung, die ihm je von einer Frau zuteil geworden war, deshalb blieb er ganz ruhig liegen und sagte kein Wort.
»Du junger Knabe, ich kann dich sehen, kann dich schälen wie eine Zwiebel, blätt’re zurück durch deine Tage, entfalte dich wie eine Rose.
Bücherfreund, Kaninchenfreund, deine Spielgefährten sind die Tiere im Stall.
Was studierst du, Knabe, das dich so einsam macht?«
Ihre Berührung seines Geistes war wie eine Feder unter dem Kinn. Sie kitzelte und machte ihn lächeln. Aber plötzlich zog sich die Feder überrascht zurück.
»Dunkler Knabe du, weißt du, wer du bist?
Kraft strömt in dir, junger Knabe, wie eine Flut unter Felsen.«
Die lichtblauen Augen weiteten sich, und sie wich zurück. Der Bann brach mit einem leisen Klirren, als Damiano sich hochstemmte und sich auf einen
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