Damiano
einen Herzschlag lang blickte er starren Auges auf diese Möglichkeit, dann wandte er sich entschlossen ab.
Auf ein einziges Wort von Damiano ließen die Rosmarinfinger ihn los und hingen wie Spiralen um ihn herum in der Luft.
»Ich glaube dir nicht. Du sagst, daß du nichts tun kannst, aber ich habe in deinem Gesicht gelesen, daß du es schlicht nicht für der Mühe wert hältst.«
Er erhob sich, und Saara stand ebenfalls auf. Die Luft sprühte kleine Funken, die wie heißes Metall rochen.
»Nun, ich bin der Meinung, daß es sehr wohl der Mühe wert ist, und im Dienst meiner Heimatstadt habe ich mich prügeln lassen, habe gefroren und gehungert, habe schlaflose Nächte verbracht und Taten vollbracht – die ich nicht hätte vollbringen sollen«, schloß er fest. »Ja, ich habe getan, was kein Mensch tun sollte. Ich habe versucht, mit dem Vater der Lügen einen Pakt zu schließen, um meine Heimatstadt vor Blutvergießen und Elend zu bewahren. Selbst er hat mich abgewiesen. Du bist meine letzte Hoffnung, Saara. Ich kann nicht glauben, daß die größte Hexte in ganz Europa kein Mittel kennt, eine Stadt aus der Gewalt eines einzigen römischen Straßenräubers zu befreien.
Ich will alles tun, was getan werden muß, edle Dame. Ich bin bereit, allein gegen Pardos Männer anzutreten, wenn es sein muß. Ich werde den Evançon anschwellen lassen, damit er sie von den Straßen schwemmt. Ich will keine Mühe scheuen und keine Gefahr.
Du brauchst mir nur zu sagen, wie ich es anstellen soll.«
Der Glaube in seinen Augen war so irrational wie der eines Kindes.
Saara versuchte, ihren Blick von dem Damianos zu lösen. Es gelang ihr nicht, denn die Kraft, die sie festhielt, war so alt wie die Zauberkunst und weit stärker.
»Ich bin nicht die größte Hexe in Europa, Damiano. Bei mir zu Hause sind wir alle Hexen, und es gibt dort welche, die weit mächtiger sind als ich und wilder. Das ist der Grund, weshalb…
Aber, Knabe, du hast diesen Ort und General Pardo hinter dir gelassen. Du bist frei. Die Welt gehört dir – wenn auch nicht dieser Hügel, daran muß ich dich erinnern. General Pardo kann dir nicht überallhin folgen.«
Damiano schüttelte den Kopf.
»Er hat meine Heimatstadt in seiner Gewalt, Saara. Mein Zuhause. Es ist ein großer Unterschied zwischen einem Vaganten und einem Verbannten. Frag Dante. Frag Petrarca.«
Saara neigte leicht den Kopf beim Klang der unbekannten Namen, dann lachte sie.
»Ich brauche keines anderen Meinung. Eine Stadt ist eine Ansammlung von steinernen Mauern. Mein Volk braucht keine Städte. Es folgt dem Lauf der Rentiere und ist frei.«
»Rentiere?«
Saara lächelte über seine Verwunderung.
»Zottige Tiere mit gewaltigem Geweih und großen Füßen, die auf dem Schnee stehen können. Wir reiten sie und melken sie und essen sie auch, aber natürlich nicht die, die wir reiten.«
Damiano bemerkte den schalkhaften Zug in Saaras Lächeln und wußte nicht, ob er ihr glauben sollte. Mit einem tiefen Seufzer beschloß er, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
»Wir Piemonter – alle Italiener – brauchen Städte. Wir geben ihnen unser Herz. Eine Stadt ist wie eine Mutter, schöne Dame. Sie gibt uns zu essen, sie gibt uns unsere Freunde und unser Vergnügen. Sie prägt uns unauslöschlich ihren Stempel auf. Doch eine Stadt – sie kann sich nicht selbst verteidigen. Wer soll sich um sie kümmern, wenn nicht ihre Kinder, hm?«
Der Ausdruck auf dem Gesicht der Finnfrau wurde etwas weicher, zeigte beinahe eine Art Mitgefühl, doch dann schüttelte sie den Kopf.
»Das ist hübsch gesagt, Dami. Aber eine Stadt ist kein Mensch. Sie hat auch kein Leben wie ein Baum. Sie ist ein Ding wie der Stab hier – es ist deine Entscheidung, ihr anzuhängen oder frei zu sein. Ich würde dir lieber helfen, frei zu werden.«
Zögernd trat Damiano vor und versuchte zu lächeln. Als er ihr nahe genug war, um sie deutlich zu sehen, war er auch nahe genug, sie zu berühren. Er streckte den linken Arm aus und streichelte ihren Arm und ihre Schultern. Seine Fingerkuppen waren so aufgerauht von dem Saitenspiel, daß sie auf dem dünnen Filz ihres bestickten Kleides kratzten.
»Saara. Meine Dame. Wenn es dein Wunsch ist, daß ich von nun an nicht mehr in meiner Heimatstadt lebe, dann soll es so sein. Ich werde in einem finsteren Wald leben. Oder in einem Boot auf dem Meer – es ist mir gleichgültig, solange es nur deinem Willen entspricht. Aber erst muß ich Partestrada helfen, verstehst du?«
Sie
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