Damiano
neuer und erstaunlicher Dinge fähig ist. Seine Stimme riß ihn mit sich fort, bis ihm die Tränen in die Augen traten.
»…Farai, o, c c’aissi’s cove;
Mas vos non estai ges be
Quem fassatz tostems mal traire.«
Der Schlag kleiner Schwingen raschelte in dem Baum, der dem Feuer am nächsten stand; weder Lerchenschwingen noch Sperlingsschwingen. Damiano sah nicht auf, als Saara neben Macchiata zur Erde herabflog und sich dort niedersetzte, die Füße unter dem blauen Filzrock verborgen. Doch er sang den letzten Teil des Verses auf italienisch.
»Ich will tun, was ich tun muß,
Aber es kleidet dich nicht,
Mich solchen Schmerz leiden zu lassen.«
Saara flüsterte »Ah«, und Macchiata schlich vom Feuer weg. Die größte Hexe Italiens drehte immer wieder ihren braunen Zopf um einen Finger.
»Sehr hübsch, Damiano. Deine Musik ist wie du selbst – warm und dunkel und einsam. Nur sehr junge Männer sind auf solche Weise einsam.«
In der Stille betrachtete Damiano sie von jenseits des Lagerfeuers. Obwohl ihr Gesicht auf diese Entfernung nur ein verschwommenes helles Oval war, konnte er im Licht des Vollmonds mit seinen Hexenaugen gewisse Dinge sehen und war beschämt.
»Ich bin gekommen, dir etwas zu sagen, Dami – so werde ich dich jetzt nennen; das ist einfacher. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, warum ich dir nicht helfen werde, einen Krieg zu führen.«
»Ich will ja gar keinen – « begann er, doch sie unterbrach ihn mit einer scharfen Geste.
»In meiner Heimat, in Lappland, hoch im Norden, waren wir alle, die dem Haavala-Stamm angehörten, Hexen und Hexer; alle Lappen sind Zauberer – Hexen. Wir haben Macht über die Herden und die wilden Tiere und, das ist das Wichtigste, über das Wetter. Wir sorgen dafür, daß das Wetter gerade so schlecht bleibt, daß andere Stämme und Völker nicht in unser Land eindringen.«
»Ihr beherrscht das Wetter? Du meinst, ihr könnt die Winde rufen und die Wolken herbeiholen oder vertreiben? Davon versteh’ ich auch ein bißchen.«
Sie lächelte. »Ich meine, wir können bei Dürre einen Platzregen niedergehen lassen oder mitten im Winter einen Garten schaffen.«
Damiano schüttelte beeindruckt den Kopf.
»Soviel Kraft kann ich mir nicht einmal vorstellen.«
Saara lachte leise. »Wenn man die Elemente beherrschen will, Dami, muß man bereit sein, mit ihnen eins zu werden. Gerade das aber weigerst du dich zu tun.
Aber ich will dir von mir erzählen, und warum ich hier bin.
Ich war jung, Dami. So jung wie du. Ich hatte einen Gatten – Jekkinan – und zwei kleine Töchter mit dem schwarzen Haar ihres Vaters.
Jekkinan war der Häuptling unseres Stammes. Er war ein kräftiger Mann und konnte einen Wolf mit einem Lied von drei Worten einsperren. Und er war stolz und hochmütig, aber vor mir mäßigte er seine Worte.
Im Herbst wurden immer die Herden zusammengetrieben. Da pflegten die Männer allein auszuziehen. Einmal gab es einen Streit wegen der Teilung, und ein Mann wurde getötet. Man sagte mit, Jekkinan habe ihn getötet, obwohl ich nicht glauben kann…
Ob es nun stimmte oder nicht, er kehrte nach Hause zurück und sagte mir nichts von einem Kampf, aber am folgenden Tag ging ich allein aus, und als ich nach Hause kam, war Jekkinan tot und die – die Kin- – die Kinder auch. Sie lagen tot auf der Erde, von Speeren durchbohrt. Die offenen Wunden waren Münder, die den Namen des Mörders riefen.«
Damiano schrie unwillkürlich auf.
»Ach, Saara, das tut mir so leid.«
Er beugte sich vor, bis sein Gesicht dicht über dem Feuer war.
Saara blickte auf. Ihre Augen waren trocken und wie zugesperrt.
»Das ist nicht der Grund, weshalb ich dir nicht helfen werde, Damiano. In derselben Nacht, in der ich meine Kinder tot vorfand, ging ich zum Haus des Mannes, der sie umgebracht hatte.
Und ich tötete ihn mit einem Lied – ihn und seine Frau. Seine Kinder waren erwachsen, sonst hätte ich sie vielleicht auch getötet. Dann versammelte sich der ganze Stamm und beschloß – welche Schande –, daß es in Zukunft diesen Stamm nicht mehr geben sollte. Die Herde wurde aufgeteilt, und die Menschen trennten sich, nahmen die Namen und die Sitten und die Zeichen anderer Stämme an. Ich bin die einzige, die noch die zwei Sterne der Haavala trägt.
Das ist der Grund, weshalb ich dir nicht helfen werde, Dami. Ich habe getan, wozu Haß mich getrieben hat. Ein für allemal.«
Damiano trat über das Feuer hinweg und setzte sich neben sie.
»Wir sind
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