Damiano
ähnlich. Er wagte es nicht, Raphael ins Gesicht zu sehen, zu prüfen, warum der Engel dort stand und nichts sagte; er fürchtete, daß entweder die Schönheit dieses Antlitzes oder das Erbarmen in seinem Ausdruck ihn zu Boden schmettern würde.
»Kehr in den Himmel zurück, Raphael. Meine Laute ist in Trümmern. Meine Hündin ist tot.«
»Das tut mir leid für dich, Damiano.« Die Worte klangen kühl, eine Feststellung, mehr nicht. »Aber traure nicht um Macchiata.«
Damianos Antwort war kurz und entschieden.
»Das tue ich nicht. Ich habe keine Zeit dazu. Oder kein Gefühl.
Mein ganzes Leben ist in Trümmern, Raphael. Ich brauche keinen Lehrer mehr.«
Nun siegte doch sein Bedürfnis zu wissen, wie der Engel reagierte, über Furcht und Scham. Damiano richtete seinen Blick auf Raphael.
Der Engel lächelte langsam.
»Ich liebe dich, Dami«, sagte er.
Damianos Kopf sank nach vorn, auf den Hals des Wallachs. Sein Gesicht versank in der langen Mähne, die so fest und dunkel war wie sein eigenes Haar. Er zitterte, bis der schwarze Rücken des Pferdes unter ihm zu zucken begann.
»Nein«, rief er leise. »Herr Gott! Nein! Sag das nicht. Nicht zu mir.«
Raphael trat neben Damiano.
»Warum nicht, Damiano? Was soll diese Distanz? Liebst du mich nicht mehr? Noch keinen Monat ist es her, da sagtest du mir, daß du mich liebst und daß ich niemals daran zweifeln sollte. Ich werde auch nicht daran zweifeln.
Ich kann sehr hartnäckig sein.«
Damiano zuckte unter der sachten Berührung seines Knies zusammen. Er drückte die Augen fest zu und biß die Zähne aufeinander.
»Doch, natürlich liebe ich dich, Raphael. Und das bricht mir das Herz.
Geh jetzt fort! Fort mit dir! Fliege! Das kannst du doch so gut, wenn du nur willst.«
Damiano gestikulierte blindlings, als wolle er einen Schwarm Vögel verscheuchen.
Die Berührung der Hand wurde einen Moment lang fester.
»Ich gehe«, sagte Raphael. »Aber wir sehen uns wieder, Damiano. Da bin ich sicher. Mindestens noch einmal. Und dann werden wir über dies hier sprechen.«
Plötzlich schnaubte das Pferd laut und warf den Kopf nach rechts und links. Es stampfte enttäuscht mit einem Fuß und stieß eine weiße Dampfwolke aus seinen Nüstern. Sein Wiehern klang durch die eisengrauen Bäume.
Damiano öffnete die Augen. Er wußte, daß der Engel fort war.
Das Wetter blieb unfreundlich. DerHimmel war von dunklen Schleiern verhangen, die Erde war kalt und feucht. Damiano ritt gemächlich westwärts und wartete auf ein Zeichen.
Er begegnete irgendwann einem Mädchen mit einem Schulterjoch und zwei Körben voll Hühnern. Es warf nur einen kurzen Blick auf ihn, dann floh es schreiend, sein gackerndes Federvieh im Stich lassend. Damiano stellte die Körbe wieder auf und setzte seinen Weg fort, während er sich fragte, was das Mädchen in ihm wohl gesehen haben mochte. Als er die Hände zu seinem Gesicht hob und darüber strich, fühlte er die vertrauten Züge unter seinen Fingern.
Am selben Tag näherte sich aus einem Seitenpfad ein Reiter. Sein Entsetzen war so deutlich wie zuvor das des Bauernmädchens; ja, schlimmer noch, sein stampfendes, schnaubendes Pferd schien seine Angst zu teilen.
»Das ist gut«, murmelte Damiano trotzig. »So lassen mich die Leute wenigstens in Ruhe, und ich muß mir nicht ihr Geschwätz und ihre dummen Scherze anhören.« Doch er seufzte.
Beinahe eine Woche lang war er die öde Straße entlanggeritten, als er mit seinem Hexensinn eines Tages die Gegenwart von Menschen witterte. Er holte tief Atem, schloß die Augen und lauschte.
Männer waren es, viele Männer und kaum Frauen. Soldaten, wenn ihn sein Instinkt nicht trog. Jener Teil von ihm, der Saara gewesen war, wurde argwöhnisch und vorsichtig.
Aber von Kampfeslärm war nichts zu hören. Damiano trieb den Wallach zu schnellerer Gangart an.
Ein großer Teil der Mauern von San Gabriele war eingerissen und bildete nun den Bruchstein für die Barrikaden. Hinter diesen provisorischen Verschanzungen lag das Heer General Pardos, das die Stadt besetzt hielt. Die Männer, größtenteils Römer, verfluchten den Wind und die ständige Kälte. Mit mißmutigen Mienen spähten sie über die Barrikaden und die gepflügten Felder hinweg zu einem anderen Lager, wo blaue Zelte vom Wind gerüttelt wurden, und die Fahne Savoyens im Wind flatterte.
Ogier, der illegitime Sohn Aymons von Savoyen, saß in seinem schwankenden Zelt und verwünschte ebenfalls den Wind. Er wollte diesen lumpigen
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