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Damiano

Damiano

Titel: Damiano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. MacAcoy
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Stab an.
    »Ich möchte mein Pferd holen«, sagte er.
    Der Stalljunge kroch aus seinem Nest und trat vor die schattenhafte Gestalt hin. Doch da fiel er mit einem Entsetzensschrei auf die Knie, schlug die Hände vor sein Gesicht und begann angstvoll zu beten.
    Damiano blieb einen Moment verwundert stehen, dann fielen ihm müde die Schultern herab, und er wandte sich den Pferden zu.
    »Es scheint, daß er mir tatsächlich seinen Stempel aufgedrückt hat«, sagte er zu sich.
    Der Ritt von Ludica aus nach Westen war still, sehr still, abgesehen von dem ständigen Tumult in Damianos verletztem Ohr, wo sich fremdländische Rede, fremdes Begehren und heimatlose Erinnerung in sehnsüchtigem Geflüster vermischten. Aber entweder heilte sein Trommelfell rasch, oder er hatte sich schon an die Stimmen gewöhnt; sie belästigten ihn jedenfalls nicht mehr.
    Während Damianos kurzem Aufenthalt in der Lombardei war der November dem Dezember gewichen. Sein Geburtstag, wurde Damiano bewußt, war unbemerkt vorübergegangen. Er war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt. Er fühlte sich mehr als doppelt so alt.
    Aber er würde keine vierundvierzig Jahre leben, sagte er sich. Er würde nicht einmal fünfundzwanzig Jahre alt werden. Es war durchaus möglich, daß er die kommende Nacht nicht überleben würde. Und am Ende wartete das alles verzehrende Feuer; es war nicht angenehm, darüber nachzudenken.
    Es schneite, schneite schon den ganzen Morgen. Damiano war des Schnees gründlich überdrüssig, war auch den Wind leid, die von Kälte erstarrten Wagenfurchen, die kahlen Bäume. Sein einziger Trost war, daß er selbst zu müde war, um sich darüber Gedanken zu machen, was er getan hatte und was er tun würde.
    Er kuschelte sich in seinen Pelz und stimmte eine traurige Ballade von Walther von der Vogelweide an. Sie klang merkwürdig in seinem Kopf, so als wäre der Sänger in Wirklichkeit jemand, der links von ihm stand; aber die vertraute Weise tröstete ihn.
    Er fragte sich, ob er noch beten konnte. Warum eigentlich nicht? Er hatte sein Vaterunser über der Leiche Ruggieros gesprochen, und das einzige, was da anders gewesen, war, daß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewußt hatte, daß er ein Verdammter war.
    »Gütiger Schöpfer«, begann er auf Lateinisch, wie sich das für alle Gebete geziemte, »dieser grünen Welt – ich danke dir für mein Leben, wenn es auch nicht mehr sehr lange währen wird. Und wenn ich auch von Natur aus böse bin, so hoffe ich doch, du wirst es nicht falsch verstehen, wenn ich dich bitte, gewisse Menschen zu behüten – «
    Damiano brach unvermittelt ab und starrte blinzelnd auf die Straße, die vor ihm lag. Als er die edle Schönheit weißer Schwingen erblickte, die sich fragend hoben, verzog sich sein Gesicht zu einem erleichterten Lächeln des Willkommens.
    Doch die lächelnde Erleichterung war totgeboren. Mit dem Anblick Raphaels zersprang Damianos Hülle der Taubheit, und er erinnerte sich. Scham ließ sein Herz erstarren und trieb ihm die Hitze ins Gesicht, das dunkelrot wurde. Seine Hände verkrallten sich in der Mähne des Pferdes. Sein Blick senkte sich zur Straße.
    »Seraph«, stieß er gepreßt hervor. »Ich wollte dich nicht rufen. Es war nur ein Gebet.«
    »Ich weiß.«
    Der Erzengel Raphael mühte sich nicht zu lächeln. Er betrachtete eindringlich Damiano auf seinem Pferd, und der Wind spielte in seinem gelben Haar.
    Der Engel hob eine elfenbeinhelle Hand, und Festelligambe sprang wiehernd vorwärts, um seinen schweren dunklen Kopf an Raphaels Brust zu drücken.
    »Ich weiß, Damiano«, sagte Raphael wieder, während er den Wallach kräftig hinter dem rechten Ohr kraulte. »Aber ich wollte dich sehen.«
    Der Blick des Engels war klar und offen, und doch so forschend, daß Damiano spürte, wie er von Kopf bis Fuß errötete.
    Deshalb ist der Teufel so rot, dachte er bei sich. So unverfroren er ist, sein geistiger Leib schämt sich seiner. So wie ich mich schäme. Und jetzt verstehe ich, warum er seinen Bruder haßt.
    Damiano biß die Zähne aufeinander.
    »Nun bitte, du siehst mich, Raphael«, versetzte er schärfer als er beabsichtigt hatte und blickte über Raphaels Schulter hinweg zu den Wiesen, deren dürres Gras von Schnee bedeckt war. »Und jetzt, nachdem du mich gesehen hast, wird dir kaum etwas anderes übrigbleiben, als wieder fortzugehen, wie?«
    Damiano wartete. Aus dem Augenwinkel konnte er den leichten, gemächlichen Schlag einer Schwinge sehen, dem Zucken eines Katzenschwanzes

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