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Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Titel: Damit Dein Leben Freiheit Atmet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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Beispiel: Ich kann mich nicht genügend abgrenzen, weil ich ein übertriebenes Bedürfnis nach Zuwendung und Bestätigung habe, weil ich mich davor fürchte, mal nicht beliebt zu sein oder von anderen als Egoist beschimpft zu werden. Anstatt mir meine Unfähigkeit, mich abzugrenzen, einzugestehen, überhöhe ich sie als Aufopfern für die anderen. Jesus will von mir, daß ich mich
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    für die ändern hingebe und mich für sie aufopfere. Wenn ich mich für andere aus Liebe hingebe, dann stimmt es. Aber oft genug ideologisiere ich nur meine mangelnde Fähigkeit, nein zu sagen, als Aufopfern. Von solchem Aufopfern aber geht kein Segen aus, sondern eher eine aggressive und lebensverneinende Stimmung. Neben einem Opferlamm kann man schlecht leben.
    Und wenn ich genau nachfrage, was hinter dieser Haltung steht, dann stoße ich häufig auf eine frühkindliche Angst, keinen Platz zu haben in dieser Welt. Da gab es zum Beispiel die Botschaft der Mutter, daß für die Tochter eigentlich kein Platz da sei. Die Angst, ihre Daseinsberechtigung zu verlieren, treibt die Tochter dann dazu, sich für andere zu verausgaben, damit sie wenigstens im Gebrauchtwerden einen Platz auf dieser Welt findet.
    Gott kann mir meine Sehnsucht nach absoluter Liebe und Geborgenheit erfüllen. Doch wenn ich meine vitalen
    Bedürfnisse nach Zärtlichkeit und menschlicher Nähe überspringe und meine, Gott würde mir alle diese Bedürfnisse stillen, dann überfordere ich meine Gottesbeziehung. Gott wird zum Ersatz für das ungelebte Leben, für die ungelebte Liebe.
    Dieses von meinen menschlichen Bedürfnissen getrübte Gottesbild muß gereinigt werden, damit ich Gott wirklich als den sehe, der er ist, und sein Bild nicht durch die Brille meiner verdrängten Sexualität verfälsche.

    C. G. Jung meint, man würde immer blind für die eigenen Bedürfnisse, wenn man sich mit einem archetypischen Bild identifiziere. So ein archetypisches Bild kann das Opferlamm sein. Andere archetypische Bilder sind: der Märtyrer, der Heiland, der Helfer, der Revolutionär, der Heilige, der Mystiker.
    Es gibt in der Kirchengeschichte heilige Menschen. Aber sie haben sich nie als Heilige gefühlt oder sich gar mit dem archetypischen Bild des Heiligen identifiziert. Es gibt genügend Märtyrer. Sie sind Märtyrer geworden, weil sie ihren Glauben bezeugt haben. Aber wenn ich mich in einer Situation, in der ich
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    nicht bereit bin, mich mit meinem Gegner auseinanderzusetzen oder mich selbst in Frage zu stellen, mit dem Bild des Märtyrers identifiziere, werde ich blind für die eigene Selbstgerechtigkeit.
    Wenn die anderen nicht mit mir auskommen, dann schiebe ich alle Schuld auf sie. Ich rede mir ein, ich sei wie Jesus, der auch mißverstanden, verfolgt und ans Kreuz geschlagen wurde. Ich habe dann nicht das Bedürfnis nach Reinigung. Ich fühle mich schon rein. Ich bin ja ein Märtyrer. In Wirklichkeit lebe ich hinter diesem Ideal meine aggressiven Impulse aus. Es scheint zwar, daß ich Opfer fremder Aggressionen bin. Aber wenn ich mich mit dem Archetyp des Märtyrers identifiziere, geht auch von mir ein hohes Aggressionspotential aus. Ich meine, die anderen würden mich zum Märtyrer machen, weil sie so kleinkariert sind und mich nicht akzeptieren können. Aber wenn ich ehrlich in mich hineinschaue, werde ich entdecken, daß es auch in mir eine Seite gibt, die daran Gefallen hat, Märtyrer zu sein. Ich mache mich großenteils selbst zum Märtyrer. Ich verhalte mich so, daß die anderen zu meinen Henkern werden.
    Ich locke in ihnen ihre aggressiven und verneinenden Impulse hervor, die mich zum Märtyrer werden lassen.
    Was Johannes vom Kreuz in seinem Werk über die dunkle Nacht geschrieben hat, ist heute aktueller denn je. Wir müssen unsere Beziehung zu Gott immer wieder reinigen. Wir brauchen einen klaren Blick dafür, wo sich unsere krank machenden Lebensmuster mit unserer Gottesbeziehung vermischen, wo unser getrübtes Selbstbild auch unser Bild von Gott verunreinigt. Und wir müssen unsere spirituelle Sprache und Praxis daraufhin untersuchen, wo sich Ideologisierung eingeschlichen hat und wo wir die Worte Jesu als Bestätigung für unsere Lebensverweigerung oder für unsere innere Spaltungstendenz mißbrauche n. Um die Worte Jesu nicht zu verfälschen, braucht es immer wieder die Bereitschaft, sich dem Prozeß der Katharsis auszusetzen, sich und seine religiösen Vorstellungen Gott hinzuhalten, damit sein Geist Klarheit und
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    Reinheit bringt. Wir

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