Damit Dein Leben Freiheit Atmet
eigenen Bedürfnisse. Er merkt
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gar nicht, wie er unter dem Deckmantel seines hohen Ideals seine vitalen Bedürfnisse nach Macht, Anerkennung und nach Sexualität auslebt. Die dunkle Nacht des Johannes vom Kreuz will den Menschen von allen Vereinnahmungen Gottes befreien.
Sie zeigt dem Menschen, daß Gott, Gott ist, unverfügbar, ganz anders als der Mensch. Der Mensch muß sich mit seiner Ohnmacht Gott gegenüber aussöhnen. Dann erst darf er manchmal die Gnade erfahren, daß Gottes Liebe sich in ihn hinein ergießt und er eins werden darf mit dem unfaßbaren und unbegreiflichen Gott.
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V. Katharsis in der Psychotherapie
Sigmund Freud spricht von der Psychoanalyse als einer kathartischen, einer reinigenden, Methode. Die Katharsis geschieht, indem die traumatischen Erlebnisse nochmals erinnert und dargestellt werden. Zu Beginn seines Wirkens setzte Freud die Hypnose als Technik ein, um die Menschen in die früheren Situationen hineinzuführen und sie dadurch von der
traumatisierenden Wirkung frühkindlicher Verletzungen zu befreien. Freud erwartet vom Aussprechen und Abreagieren der verdrängten Erlebnisse und Affekte eine innere Reinigung des Menschen. Das Abreagieren kann im Herausschreien geschehen oder aber, indem man seine Wut durch Holzhacken oder Boxen oder sonstige kraftvolle körperliche Betätigungen nach außen bringt.
Die Reinigung bedeutet, daß die Affekte nicht mehr an den traumatischen Erfahrungen der Kindheit hängenbleiben. Das Kleben der Emotionen an verletzenden Kind heitserlebnissen verschmutzt das eigene Ich. Es hindert das Ich daran, klar zu sehen und die Dinge objektiv wahrzunehmen. Die Katharsis geschieht in der Psychotherapie, indem der Klient seine emotionalen Reaktionen auf bestimmte Situationen seines Alltags erzählt. Der Therapeut hilft ihm dabei zu erkennen, ob diese Reaktionen nur von dem aktuellen Konflikt oder der momentanen Begegnung ausgelöst wurden, oder ob sie durch frühkindliche Verletzungen bedingt sind. Katharsis besteht in der Entwirrung der Verwicklungen in meiner Seele.
Ich lerne langsam zu unterscheiden, ob meine Emotionen sich an alte Reaktionsmuster dranhängen, oder ob ich mit ihnen angemessen auf eine augenblickliche Situation reagiere. Indem ich meine traumatischen Erfahrungen anschaue und mir bewußt
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mache, hindere ich sie daran, die negativen Emotionen aus meiner Umgebung an sich zu ziehen und so immer mehr meine Psyche zu verdunkeln und zu verschmutzen.
Freud hat seine kathartische Methode in einer Zeit entwickelt, in der er sich sehr stark mit Aristoteles auseinandergesetzt hat, der ja von der Katharsis durch das Schauspiel schreibt. Er hat sie aber zeit seines Lebens immer weiter entwickelt. Anfangs glaubte er, durch die kathartische Methode auch
psychosomatische Symptome beseitigen zu können. Doch dann wurde ihm klar, daß es ein langer Weg ist, bis sich solche Symptome auflösen. Er versuchte, durch Erinnerung die unbewußten Erlebnisse, die den Symptomen zugrunde liegen, bewußt zu machen. Das kann langsam auch zur Auflösung der Symptome führen. Doch der Weg geht über viele innere Widerstände, die beachtet werden müssen. Freud spricht von einem Durcharbeiten. Es ist ein hartes Stück Arbeit, um die verdrängten Affekte in das Gesamt der Psyche integrieren zu können. Man könnte dieses Ringen, das Freud beschreibt, durchaus mit dem Dämonenkampf vergleichen, den Evagrius auf dem Weg der inneren Reinigung, auf dem Weg zur Apatheia vom Mönch fordert.
Die Katharsis-Lehre von Freud wird von der heutigen Psychologie eher skeptisch gesehen. Vor allem bezweifelt man, daß das aggressive Ausagieren der Affekte zur Reinigung führt.
Wenn jemand seine Wut unkontrolliert nach außen schreit oder schlägt, kann er sich auch in sie hineinsteigern, anstatt sich von ihr zu befreien. Heute erwartet man die Katharsis vo n anderen Methoden. Freud selbst hat im Laufe seines Lebens das Abreagieren abgeschwächt. Die wichtigste Methode war für ihn, die Affekte verbal auszudrücken, dem Affekt Worte zu geben, damit er sich selbst zur Sprache bringen kann. Früher war man überzeugt, daß man die Wunden der Kindheit aufdecken müsse.
Heute arbeitet man eher ressourcenorientiert. Manche Wunden
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überschwemmen den Klienten wie mit Eiter, wenn sie im Gespräch wieder aufgerissen werden. Da ist es wichtiger, die heilenden Kräfte zu stärken, damit die Wunde heilen kann.
Wenn der Klient mit seinen inneren Quellen in Berührung kommt,
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