Damit Dein Leben Freiheit Atmet
das ihr Selbstbild trübt. Sie dachte, der Glaube wäre ihr wichtig und durch den Glauben könne sie ihre Probleme bewältigen. Doch trotz ihres Glaubens wird sie depressiv. So muß sie sich von der Illusion befreien, daß sie durch ihren Glauben alles lösen könne. Die Depression - so sagt C. G. Jung - ist wie eine schwarze Dame. Wenn sie an die Türe klopft, soll man sie einladen einzutreten, damit man sich mit ihr unterhalten kann. Wenn die Frau die Depression freundlich empfängt und mit ihr spricht, wird sie sie in die eigene Wahrheit führen. Sie wird sich auf einmal klarer sehen, wie sie ist. Und sie wird durch die Depression in den eigenen Seelengrund geführt, in dem sie Gott findet als den tiefsten Grund ihres Lebens.
Je mehr wir gegen die Depression, gegen die Empfindlichkeit, gegen die Angst kämpfen, desto stärker wird die Gegenkraft, die sich in uns regt. Die Aggression kann durchaus eine klare Kraft sein, die mir hilft, mich abzugrenzen. Doch wenn ich aggressiv auf meinen Ärger reagiere, dann vermischt sich mein Ärger über mich selbst mit dem Ärger, den die anderen in mir auslösen.
Und ich sehe gar nicht mehr klar. Reinigung heißt, diese Vermischung aufzuheben. Das gelingt aber nur, wenn ich all das, was sich in mir regt, wahrnehme, ohne es gleich zu bewerten. Sobald ich es bewerte, trübt es sich ein. Und in meinen Ärger schleichen sich all die Beurteilungen und Maßstäbe ein, die ich als Kind mitbekommen habe: »Als Christ ist man immer freundlich. Als Christ schimpft man nicht. Da
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reißt man sich zusammen. Ein Sportler ist diszipliniert.« Solche Werturteile trüben meinen Blick auf das, was mir mein Ärger eigentlich sagen möchte. Ich schwimme in meinem Ärger. Aber ich kann nicht mehr klar mit ihm umgehen. Ich habe keinen Abstand zu ihm. Reinigung bedeutet, daß ich eine gesunde Distanz zu meinen Emotionen habe. Nur dann kann ich sie klar sehen und ihre Bedeutung für meinen Weg erkennen. Nicht die Emotionen sind schlecht. Sie haben alle ihren Sinn. Ich werde nur dann von meinen Emotionen und Affekten verunreinigt, wenn sie vermischt sind mit den Emotionen anderer und mit meinen eigenen traumatischen Kindheitserfahrungen. Daher muß ich immer wieder zurücktreten, um meine Affekte aus einer gesunden Distanz heraus zu betrachten. Für mich ist dafür das Gebet sehr hilfreich, es ist für mich ein Ort, an dem ich die Emotionen wahrnehmen kann, ohne mich von ihnen infizieren und bestimmen zu lassen.
Die Psychoanalyse hat uns gelehrt, daß unsere Emotionen an traumatische Erfahrungen in der Kindheit gebunden sind. Und dadurch sind sie verunreinigt. Wenn uns nun ein Wort trifft, das uns an die traumatische Erfahrung erinnert, dann hängt es sich an diese verunreinigte Emotion und trübt noch mehr unser Denken und Fühlen. Die Psychoanalyse will die Bindung der Emotionen an die traumatischen Kindheitserlebnisse aufheben.
So wäre es auch auf dem spirituellen Weg wichtig, daß wir ein gutes Gespür entwickeln, wo wir durch bestimmte Worte und Reaktionen unserer Mitmenschen wieder mit früheren
traumatischen Erfahrungen verbunden werden und wie sie unsere Emotionen trüben. Ein wichtiger Weg der Katharsis würde darin bestehen wahrzunehmen, was sich da abspielt.
Wenn ich es wahrnehme, dann kann ich mich auch davon distanzieren. Aber es braucht viel Geduld und Klarheit, um immer wieder zu erkennen, wo sich meine trüben Emotionen noch mehr aufladen mit dem Schmutz, der von außen her auf mich zukommt und in mich einströmt.
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Da gehen zwei Dinge hintereinander schief. Ein Mitarbeiter berichtet von einem Konflikt mit einem anderen. Und kurz darauf bekomme ich einen unangenehmen Telefonanruf, in dem sich jemand von außen beschwert über etwas, was von unserer Verwaltung nicht rechtzeitig beantwortet worden ist. Ich spüre, wie der Ärger in mir hochsteigt. Und schon klammert sich an diesen Arger das Gefühl, daß ich eigentlich ja auch eine andere Arbeit machen könnte, als mich ständig um den Kleinkram zu kümmern und Konflikte aus zubaden. Der Ärger vermischt sich mit meinem Widerstand gegen die Arbeit überhaupt und mit dem Gefühl des „Ausgenutztwerdens“. Und schon entsteht ein heilloser Emotionsbrei. Ich fühle mich nicht wahrgenommen mit dem, was ich tue. Ich möchte am liebsten alles hinwerfen. Ich merke, wie diese düsteren Gedanken sich in meiner Seele ausbreiten. Da spüre ich, daß es höchste Zeit ist, sich davon zu distanzieren und mich innerlich zu
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