Damit Dein Leben Freiheit Atmet
müssen die Worte Jesu so hören, wie sie die Jünger gehört haben. Dann reinigen sie uns. Aber wir können die gleichen Worte auch mit einem unreinen Herzen hören.
Dann mißbrauchen wir sie als Bestätigung für unsere eigene Unreinheit.
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Unser Selbstbild
Unser Selbstbild ist oft genug getrübt durch Illusionen, die wir uns über uns gemacht haben. Da ist die Illusion, daß wir unser Leben im Griff haben, daß wir alles können, was wir wollen, daß uns das Leben gelingt. Oder es ist die Illusion, daß wir es nur gut meinen, daß wir freundliche, selbstbeherrschte, disziplinierte, ethisch hochstehende Menschen sind, daß wir psychisch gesund und spirituell ehrlich und suchend sind. Die Reinigung in der Beziehung zu mir selbst besteht in erster Linie darin, daß ich mich von den Illusionen verabschiede, die ich mir von mir selbst gemacht habe. Das ist nicht einfach. Das tut oft genug weh. Und es ist genau das, was der hl. Benedikt mit Demut meint, mit »humilitas«, dem Mut, hinabzusteigen in den eigenen Leib, in die eigene Erdhaftigkeit und Menschlichkeit, um sich damit auszusöhnen.
Auf diesem Weg der Reinigung begegnen wir aber genügend Fallen. Da ist einmal die Tendenz, daß wir uns in unserer Durchschnittlichkeit nicht akzeptieren können. Wir müssen immer etwas Besonderes sein. Entweder sind wir besonders spirituell. Oder wenn das nicht gelingt, dann halten wir uns für die schlimmsten Sünder. Aber damit weigern wir uns, unsere Durchschnittlichkeit anzunehmen. Wir sind weder die größten Heiligen noch die schlimmsten Sünder, sondern eben
dazwischen. Doch das kränkt unser Selbstbild.
Manche müssen immer in Superlativen von sich sprechen, weil sie es nicht aushalten können, daß sie genauso wie die anderen sind, hin- und hergerissen zwischen dem Guten und Bösen, zwischen heilig und profan, zwischen Disziplin und Disziplinlosigkeit. Manche mißbrauchen ihren spirituellen Weg dazu, sich als etwas Besonderes fühlen zu können. Wenn ich anderen erzähle, daß ich Meister Eckehart und Johannes vom
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Kreuz lese und daß ich mich darin wiederfinde, dann kann ich mich über die anderen stellen. Ich mache mich interessant mit meinen mystischen Interessen, weil ich es nicht aushalten kann, daß ich in vielem banal bin, von alltäglichen Wünschen und Bedürfnissen bestimmt. Anstatt mich auszusöhnen mit meiner Alltäglichkeit und mich den täglichen Problemen zu stellen, weiche ich aus in etwas Besonderes. Ich hebe ab. Doch wenn ich abhebe, kann ich die Wirklichkeit nicht mehr gestalten und verwandeln.
Eine Weise, an seinen Illusionen über sich selbst festzuhalten, besteht darin, daß ich gegen mich wüte, sobald ich mich anders erlebe, als es meinem Selbstbild entspricht. Ich reagiere empfindlich auf andere und werde aggressiv. Das ärgert mich.
Ich möchte doch gelassen und friedlich sein. Weil ich es nicht bin, wüte ich gegen mich selbst. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich immer noch so empfindlich bin. Ich nehme mir vor, das nächste Mal besser aufzupassen und mich mehr
zusammenzunehmen. Und schon beginnt ein Teufelskreis. Die Aggressivität mir selbst gegenüber macht mich noch
unzufriedener, und manchmal führt sie mich in die
Depressivität. Der Grund ist, daß ich es nicht aushalten kann, daß ich immer noch empfindlich bin. Ich halte an meinem hohen Selbstbild fest, anstatt mich auszusöhnen mit meiner Empfindlichkeit.
Eine Frau erzählte mir, daß sie immer wieder depressive Phasen habe. Sie macht eine Therapie. Es ist schon besser geworden. Aber sie braucht noch Medikamente. Schon das kränkt ihr Selbstbild. Wenn sich dann trotz der Medikamente wieder eine stärkere Depression anmeldet, versucht sie, gewaltsam dagegen anzukämpfen. Sie zwingt sich,
weiterzuarbeiten, bis sie nicht mehr kann. Reinigung heißt nicht, daß sie von der Depression frei wird, sondern daß sie sich von ihrem Selbstbild verabschiedet. Wenn sie sich aussöhnt mit ihrer Depression, dann erkennt sie ihren Sinn. Die Depression will ihr
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etwas sagen. Sie will ihr sagen, daß sie ihr Maß überzogen hat.
Sie hat sich zu sehr unter Druck gesetzt, für ihre Kinder eine perfekte Mutter zu sein und immer für sie zu sorgen. Das hat sie überfordert und in die Depression geführt. Die Depression zeigt ihr, daß dieser Weg so nicht mehr weitergeht. Sie muß sich in aller Demut eingestehen, daß sie selbst auch Bedürfnisse hat. Sie muß sich also von ihrem perfektionistischen Mutterbild verabschieden,
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