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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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angerufen‹, gab ich zur Antwort. ›Man sagte mir, eine Sterbende habe nach mir verlangt.‹
    Der Mann wurde wütend. ›Schauen Sie sie doch an‹, sagte er. ›Siehst sie aus, als könnte sie noch sprechen? Ich hab Sie nicht angerufen. Wer war das dann ?‹
    Diese Frage konnte ich nicht beantworten, und so wartete ich einfach ab, bis der Mann sich abgeregt hatte. Als er sich schließlich beruhigt hatte, fragte er mich: ›Sind Sie verheiratet?‹ Ich bejahte die Frage. ›Lieben Sie Ihre Frau?‹, wollte er dann wissen.
    ›Ja‹, sagte ich.
    ›Würden Sie miterleben wollen, wie sie stirbt?‹
    ›Nicht, wenn es noch Hoffnung gäbe‹, antwortete ich.
    Wir redeten etwa eine Stunde. Am Ende sagte ich: ›Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich ein Gebet für Ihre Frau spräche?‹«
    Er sagte, dass er darüber sehr froh wäre.
    Also sprach ich das Gebet.«
    Und dann?, fragte ich.
    »Dann ging ich wieder.«
    Ich schüttelte den Kopf. Der Rebbe hatte sich über eine Stunde mit einem wildfremden Menschen unterhalten? Ich versuchte mich daran zu erinnern, wann ich das zum letzten Mal getan hatte. Oder ob ich das überhaupt jemals getan hatte.
    Haben Sie irgendwann noch erfahren, wer Sie angerufen hat?, fragte ich.
    »Nicht offiziell. Aber auf dem Weg nach draußen sah ich eine Krankenschwester, die ich von früheren Besuchen in dieser Klinik kannte. Ich wusste, dass sie eine fromme Christin war. Als ich an ihr vorüberging, sahen wir uns an. Sie sagte nichts, aber ich wusste trotzdem, dass sie diejenige gewesen war, die mich angerufen hatte.«
    Augenblick mal. Eine Christin hat einen Rabbiner gerufen?
    »Sie hatte gesehen, wie der Mann litt, und sie wollte nicht, dass er alleine sein musste.«
    Dazu braucht man ziemlich viel Mut.
    »Ja«, antwortete er. »Und viel Liebe.«

Noch ein wenig Geschichte

    A lbert Lewis war so weit gekommen, dass er von einer christlichen Krankenschwester um Beistand gebeten wurde, aber früher ließen sich die religiösen Grenzen nicht so leicht überschreiten. Moses selbst hat sich als »Fremder in einem fremden Land« bezeichnet. Und diese Worte hätten genauso treffend auch die Lage beschrieben, in der Albert Lewis sich befand, als er 1948 in Haddon Heights in New Jersey eintraf.
    Damals war die Wohngegend von Eisenbahnlinien durchzogen, die Richtung Westen nach Philadelphia und Richtung Osten zum Atlantik führten. Es gab acht Kirchen und nur eine Synagoge – die diese Bezeichnung jedoch kaum verdiente – in der Stadt: ein dreistöckiges viktorianisches Haus zwischen einer katholischen Kirche und einer Episkopal-Gemeinde. Die beiden Kirchen waren offizielle Backsteingebäude mit Türmen, aber das Gemeindehaus des Rebbe hatte eine Veranda, eine Küche, Schlafzimmer, die man zu Schulzimmern umfunktioniert hatte, und alte Kinositze in der Synagoge. Eine Wendeltreppe verband die einzelnen Stockwerke.
    Die erste Gemeinde bestand aus knapp vierzig Familien, von denen einige einen Fahrtweg von vierzig Minuten hatten. Sie hatten an das Rabbinerseminar geschrieben und inständig um einen Rabbiner gebeten; andernfalls hätten sie die Gemeinde schließen müssen. Zu Anfang hatten einige christliche Nachbarn eine Unterschriftensammlung gestartet, um die Gründung der Synagoge zu unterbinden. Die Vorstellung einer jüdischen Gemeinde wurde damals noch als fremd und bedrohlich empfunden.
    Albert Lewis machte sich also ans Werk, um das zu ändern. Er trat dem Gemeinderat bei. Er nahm Kontakt zu Geistlichen aller Glaubensrichtungen auf. Er bemühte sich, Vorurteile und Ressentiments abzubauen, indem er Schulen und Kirchengemeinden aufsuchte.
    Manche dieser Besuche waren nicht einfach.
    Einmal saß er bei Schülern einer Kirchengemeinde und erklärte ihnen seine Religion. Ein Junge meldete sich.
    »Wo sind denn Ihre Hörner?«
    Der Rebbe war sprachlos.
    »Wo sind Ihre Hörner? Haben nicht alle Juden Hörner?«
    Der Rebbe seufzte und rief den Jungen nach vorne. Dann nahm er seine Schädelkappe (Kippa) ab und forderte den Jungen auf, ihm durch die Haare zu streichen.
    »Kannst du Hörner spüren?«
    Der Junge betastete den Kopf des Rebbe.
    »Schau sorgfältig nach. Findest du welche?«
    Schließlich hielt der Junge inne.
    »Nein«, sagte er leise.
    »Aha.«
    Der Junge ging zu seinem Platz.
    »Wo war ich stehen geblieben …?«, fuhr der Rebbe fort.
    Ein andermal lud der Rebbe einen Priester der Episkopal-Kirche ein, vor seiner Gemeinde zu sprechen. Die beiden Männer hatten sich angefreundet, und der

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