Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches
was aus.‹ Und ich hab zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder saubere Unterwäsche und saubere Socken und ein Hemd. Als ich wieder zum Pastor komme, fragt er mich: ›Und wo kommst du jetzt unter, Cass?‹
Ich sage: ›Weiß nicht. Da, wo ich vorher war, ist alles überschwemmt.‹ Er geht ins Haus und redet mit seiner Frau, und als er rauskommt, sagt er: ›Willst du vielleicht bei uns bleiben?‹
Ich bin völlig fertig. Der Mann kennt mich doch gar nicht. Ich meine, ich hab ein bisschen für ihn gearbeitet. Ich hab ihm Essen gestohlen. Und jetzt so ein Angebot?
Er meint: ›Willst du’s dir noch überlegen?‹ Und ich sage: ›Was gibt’s da noch zu überlegen? Ich bin obdachlos.‹«
Davon hat Henry mir nie was erzählt, sage ich.
»Vielleicht denkt er, dass es nicht seine Aufgabe ist, das zu erzählen«, sagt Cass. »Deshalb mach ich es ja. An diesem Abend bin ich beim Pastor eingezogen. Und ich hab ein Jahr bei ihm gewohnt. Ein ganzes Jahr . Ich konnte auf der Couch in seinem Wohnzimmer schlafen. Oben sind seine kleinen Kinder, und ich sag mir, dieser Mann kennt mich nicht, der weiß nicht, wozu ich imstande bin. Aber er vertraut mir.«
Cass schüttelt den Kopf und blickt beiseite.
»Diese Güte hat mir das Leben gerettet.«
Wir saßen einen Moment schweigend da. Ich wusste nun mehr über den Kirchenältesten der I-am-My-Brother’s-Keeper-Kirchengemeinde, als ich mir je hätte ahnen können.
Aber ich wusste immer noch nicht, warum.
Und dann sagte Cass: »Ich seh, wie Sie den Pastor beobachten. Sie sind ja oft hier. Und er ist vielleicht nicht so, wie Sie sich einen Pastor vorstellen.
Aber ich glaube wirklich, dass Gott der Herr mir wegen diesem Mann eine zweite Chance gegeben hat. Wenn ich sterbe, wird Jesus für mich einstehen und mich anhören, und er wird sagen: ›Ich kenne dich.‹ Und genau dasselbe wird er für Pastor Covington tun.«
Aber Henry hat ein paar üble Sachen gemacht in seinem Leben, wandte ich ein.
»Ich weiß«, erwiderte Cass. »Ich auch. Aber wissen Sie, wir haben zwar viel Schlimmes gemacht, doch jetzt sorgt Gott dafür, dass wir nur noch Gutes tun.
Klar könnten Sie jetzt sagen: Aber es gibt auch Leute, die nur Gutes tun und noch nie üble Sachen gemacht haben. Aber wissen Sie was? Gott vergleicht nicht. Er sieht jeden einzeln.
Vielleicht kriegt man nur Chancen, Gutes zu tun, und das Schlechte, was man angerichtet hat, ist nicht so schlimm. Aber da Gott ja dafür sorgt, dass man auch immer was Gutes tun kann, ist es, als würde man Gott im Stich lassen, wenn man was Schlechtes tut.
Und wenn Leute, die immer nur in Versuchung sind, was Schlechtes zu machen, weil sie von so viel Schlechtem umgeben sind – wie wir –, endlich mal was Gutes tun, ist Gott wahrscheinlich ganz glücklich.«
Cass lächelte, und seine wenigen Zahnstummel kamen zum Vorschein. Und nun wurde mir klar, warum er so versessen darauf gewesen war, mir die Geschichte seines Lebens in der letzten Zeit zu erzählen.
Es ging ihm gar nicht um sich selbst.
Und Henry wurde wirklich ›Rebbe‹ genannt?
»Ja. Warum?«
Nur so, antwortete ich.
Durch Verzeihen kann man alles erreichen.
VIDURA
Um Verzeihung bitten
E in paar Wochen vor Weihnachten ging ich auf das Haus des Rebbe zu, die Hände in den Manteltaschen. Vor einigen Wochen hatte Albert Lewis einen Herzschrittmacher bekommen. Er hatte die Operation zwar überlebt, aber im Rückblick scheint es mir, als habe sie ihm den Rest gegeben. Seine Gesundheit verschlechterte sich zusehends. Seinen neunzigsten Geburtstag allerdings hatte er noch gefeiert – er hatte immer zu seinen Kindern im Scherz gesagt, bis zu seinem neunzigsten habe er das Sagen; danach könnten sie machen, was sie wollten.
Vielleicht genügte es ihm, diesen Meilenstein erreicht zu haben. Seitdem aß er kaum noch etwas – ein Stück Toast oder ein bisschen Obst war eine vollwertige Mahlzeit für ihn –, und selbst ein kleiner Spaziergang erschöpfte ihn.
Mit Teela, seiner Hindu-Betreuerin, fuhr er jedoch immer noch zum Gemeindehaus. Dort holte man ihn mit dem Rollstuhl am Auto ab, und er begrüßte die Kinder, die durch die Flure rannten. Im Supermarkt benutzte er den Einkaufswagen wie einen Rollator. Er plauderte mit anderen Kunden und kaufte wie immer – aufgrund der Armut in seiner Kindheit – Sonderangebote. Wenn Teela die Augen verdrehte, sagte er: »Ich brauch das gar nicht – aber ich freu mich, wenn ich es kriege!«
Er war ein Mann, der Freude hatte am Leben, ein
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