Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
eines nicht sein kann: emotional stabil. Wo keine emotionale Stabilität vorhanden ist, können auch keine gleichbleibenden Leistungen erbracht werden. Leistungskonstanz setzt eine entspannte Psyche voraus. Und die gehört in den seltensten Fällen zum Psychogramm eines Jugendlichen. Beim Jugendlichen beobachten wir das Werden eines Charakters, er ist noch keiner!
Störmomente in der Elternschaft
Werfen wir jetzt wieder einen Blick auf die Elterngeschichte. Die Kinder, vor allem die kleinen Kinder, glauben, ihre Eltern seien immer schon Eltern gewesen. Immer schon erwachsen, immer schon wissend, immer schon stark.
Es stimmt: Eltern sind erwachsen, groß und stark. Doch es geht ihnen manchmal so wie ihren Kindern: Die Eltern fühlen sich wiederum als Kinder ihrer eigenen Eltern und glauben ihnen entsprechend. Und das ganz unabhängig davon, ob da noch ein regelmäßiger Kontakt besteht, ob er lose, eng oder abgebrochen ist.
Die emotionale Dominanz der Großeltern
Eine junge Geschäftsfrau, die mir durch ihre zupackende und zuverlässige Art gut gefällt, sitzt da und denkt in meiner Gegenwart über ihre achtjährige Tochter nach. Sie entwirft ein Bild ihrer Tochter, das ich so gar nicht teilen kann. Nadja sei so verträumt, so unselbstständig. »Ihre langsame Art macht mich manchmal ganz verrückt. Ich bin gewohnt, schnell Entscheidungen zu treffen, etwas durchzuziehen. Sie ist mir manchmal ein Klotz am Bein, obwohl ich sie liebe. Sie unterstützt mich nicht in der Tagesroutine, sie, wie soll ich sagen, hält den reibungslosen Ablauf auf. Manchmal ist sie mir eine
Last … es wäre alles unkomplizierter ohne sie.« (Frau S. beginnt zu weinen.)
Es wäre Unsinn, diese Mutter zu verdächtigen, dass sie ihr Kind nicht wirklich liebt, dass sie ihre Tochter am liebsten loswerden möchte. Sie macht nur aus ihren Fantasien keine Mördergrube. Sie ist ehrlich. Das ist alles - beinahe: Denn ihre Offenheit ist eine Einladung an mich, zusammen mit ihr über sie und die Tochter nachzudenken, nach den Gründen zu suchen, die es ihr schwer machen, sich an ihrer Tochter so zu erfreuen, wie ich es tue.
Diese Augenblicke sind die kostbarsten in einer Behandlung. Therapeuten sind nicht da, um moralische Bewertungen abzugeben, sondern dem Gegenüber in solchen Momenten die Hand zu reichen, ihm für seine Bereitschaft zu danken, den gut verinnerlichten und beherrschten Alltagsdialog vor der Tür zu lassen. Der Alltagsdialog würde etwa so lauten: Es ist ein Geschenk, Kinder zu haben. Kinder sind etwas Großartiges. Sie bereichern mich. Was wäre mein Leben ohne meine Kinder. Ich bin so froh, dass ich dieses Kind habe. Es ist einfach wunderbar, dem Kind zuzuschauen, wie es sich entwickelt und heranreift. Sie, die Kinder, sind das Salz in meiner Lebenssuppe.
Jede dieser Aussagen stimmt. Doch ist dieses offizielle Mainstream-Denken wirklich das, was unser Leben, unsere Beziehungen zum anderen unverwechselbar macht? Beziehen wir wirklich aus dieser allgemein abgesegneten Art, über uns als Eltern oder einfach Menschen nachzudenken, unsere persönliche Lebenskraft?
Wenn wir durch einen schönen Wald laufen und nachher gefragt werden, was wir gesehen haben, wird keiner überrascht sein, dass die Antwort heißt: Bäume, viele Bäume, Tannen, Laubbäume, Gräser, Buschwerk. Und jeder Zuhörer wird nicken und den Wald vor Augen haben, auch wenn er den Erzähler auf dem Weg durch den Wald nicht begleitet hat.
Doch jeder Wald wird noch einmal ganz einzigartig durch die Empfindungen des Spaziergängers, der ihn durchstreift. Denn der eine Spaziergänger empfindet schnell Furcht im Wald, prüft mit den Augen ungewollt die dicken Stämme, könnte sich vorstellen, dass hinter den Stämmen jemand lauert, der ihm Böses will. Ein anderer bedauert, dass der gesunde Wald seiner Kindheit verschwunden ist und jetzt überall vom Sturm gefällte Bäume herumliegen. Wieder ein anderer genießt die Ruhe und stellt befriedigt fest, dass der Waldspaziergang ihn aus dem hektischen Alltagsverlauf hat herausholen können. Dem vierten Spaziergänger fällt ein noch nicht zu Ende gebautes Indianerzelt aus starken, langen Ästen ins Auge und er hätte spontan Lust, daran weiterzubauen. Vielleicht das nächste Mal mit seinem kleinen Sohn. Die fünfte Spaziergängerin wünscht sich den Mann an ihre Seite, der sie in diesem Wald, auf einer dem Auge der anderen Spaziergänger verborgenen kleinen Wiese, so verboten geliebt hatte. Und wenn wir 100 Menschen in den
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