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Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel
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höhere Klassen besuchen. Die Erfolge dieses oft täglichen Trainings verbuchen Eltern dann auf ihrer Habenseite, die Misserfolge auf der Sollseite des Kindes: »Was war denn da wieder los? Du hast zu Hause alles gekonnt. Ich versteh das einfach nicht.«
    Ein bisschen zumindest verstehe ich es schon. Diese »Wir-haben-gelernt-Kinder« haben sich daran gewöhnt, dass jemand neben ihnen sitzt. Dieser Jemand rechnet auch schnell mal eine Rechnung selber vor, weil ihn Ungeduld überkommt oder er dieses unangenehme Üben schnell hinter sich bringen möchte. Oder dieser Jemand sagt das fehlende französische Wort, weil ihn der Anblick des ratenden und offensichtlich nicht vorbereiteten Kindes einfach rasend macht. Doch nach der in der Regel für beide Seiten wenig vergnüglichen Paukerei bleibt bei beiden das befriedigende Gefühl zurück, etwas getan zu haben.
    Bei der Klassenarbeit empfinden die Kinder dann plötzlich eine Ungeborgenheit. Sie sind allein. Kein Einflüsterer weit und breit, mit Abschreiben ist auch nichts, der Lehrer
hat schon mehrmals hingeguckt. Das wohlige »Wir-Gefühl« ist zu Hause geblieben. Plötzlich wird die Welt unpersönlich und kalt. Die einigermaßen erfolgreiche Hauptprobe (Vorbereiten der Klassenarbeit) hat an der Seite der Mutter oder des Vaters stattgefunden. Die Premiere (Klassenarbeit) erfordert plötzlich den Monolog. Eine Souffleuse ist im Schulzimmer nicht vorgesehen. Für viele Kinder, deren Trainingsbedingungen auf einer Lernsymbiose aufbauen, ein schrecklicher Zustand!
    Ein 15-Jähriger hat diese Situation gut beschrieben: »Die Mama ist immer in der Nähe, wenn ich Hausaufgaben mache, sie hat ihre Arbeitszeit extra so gelegt, dass sie am Nachmittag da sein kann. Die ist einfach fit in Latein. Ich kann sie jederzeit rufen. Und wenn ich etwas in der Schule nicht kapiert habe, sage ich mir, nur kein Stress, die Mama wird’s dir schon erklären.« Und er lässt sich nicht nur nicht stressen in der Schule, sondern schaltet ganz schnell ab, wenn’s seiner Meinung nach langweilig und etwas anstrengend wird - weil ja zu Hause die Nachhilfelehrerin bereitsteht.
    Immer wieder lese ich in Zeugnissen, dass die Eltern zum täglichen Üben mit den Kindern angehalten werden. In Lisas Zeugnis stand: »Lisa sollte unbedingt eine Viertelstunde von den Eltern begleitet täglich lesen.« Die Mutter hielt die Viertelstunde eisern ein, mit dem Ergebnis, dass Lisa die Lust am Lesen bereits in der 2. Klasse verloren hatte. Diese tägliche Viertelstunde lag wie ein rotes Tuch im Raum, um welches nicht nur die Tochter, sondern ebenso, wenn nicht sogar heftiger, die Mutter gerne einen großen Bogen gemacht hätte.
    Lisa hat lesen gelernt, nachdem die Mutter sie aus der verordneten Lesezeit entlassen und ihr »erlaubt« hat, der Mutter mal was vorzulesen, »wenn du Lust dazu hast. Es hat noch jedes Kind lesen gelernt … du wirst es auch lernen.« Lisa war erst sogar etwas enttäuscht, dass die Mutter kein Interesse mehr an den täglichen Streitereien ums Lesen gezeigt
hatte - denn Lisa saß ja am längeren Hebel! Auf solche kleinen Machterfahrungen verzichtet man nicht freiwillig.
    Diese entspannte und zuversichtliche Haltung der Mutter kam nicht über Nacht. Sie musste sie sich erarbeiten, anfänglich wie einen in fremder, unvertrauter Sprache geschriebenen Text. Irgendwann wurde ihr dieser Text vertraut. Ebenso dessen Sprache, die eine Sprache des Herzens ist. Wer soll denn an das eigene Kind glauben, wenn nicht die Eltern?
    Hier hatte eine Mutter dem Kind das Selbstvertrauen in die natürlich und organisch sich entwickelnde Lesekompetenz geraubt und die Schleusen zum Lesefluss geschlossen. Es konnte nicht mehr viel fließen in einer Atmosphäre ständiger gemeinsamer Verkrampfung. Diese Mutter ist jetzt keine »Räuberin« mehr.
    Andere Eltern rauben den Kindern, mangels eigener Möglichkeiten der Selbstbestätigung, gute Noten. Diese guten Noten spielen dann im Kreis der Mütter eine nicht unwesentliche Rolle, wenn es um den eigenen Status als Mutter geht: »Wir haben keine Probleme mit der Schule.«
    »Mutter-Amazonen« im Gespräch: Es sind oft keine sehr persönlichen Gespräche, die da entstehen. Vor allem nicht bei Grundschulmüttern. Wie die Katze um den heißen Brei herumschleicht, so nähert sich die eine junge und noch von der sich erst in vagen Umrissen abzeichnenden Schulkarriere ihres Kindes schreckbare Mutter den anderen Müttern. Statt gemeinsamen Reflektierens darüber, ob ihre

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