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Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel
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Wald schicken würden … jeder käme mit einer individuellen Walderfahrung zurück.
    Und so ist es auch mit jeder Eltern-Kind-Geschichte.
    Frau S. hat das Allgemeine an diesem Tag und in dieser Stunde draußen gelassen - weil ich es eh weiß. Sie hat das Besondere erzählt. Und dieses Besondere, ihr subjektives und in ihr so viel Scham auslösende Gefühl, dass es manchmal einfacher wäre ohne ihre Tochter, weil die ein Klotz am Bein ist, hat seinen Ursprung nicht in dieser Mutter-Tochter-Geschichte. Sie selber hat darunter gelitten, ein Klotz am Bein ihrer Mutter gewesen zu sein. Ihre Mutter, auch eine Geschäftsfrau und verwitwet, musste viel arbeiten, um Frau S. und ihren kleineren Bruder und sich selbst durchzubekommen. Nadjas Großmutter hatte genau die gleichen Vorwürfe, die Frau S. ihrer eigenen Tochter jetzt macht, damals auch über Frau S. gesagt: verträumt, wenig selbstständig, halt einfach ein Klotz am Bein.

    Frau S. hat ihrer Mutter geglaubt. Denn die Mutter war groß und stark und erwachsen. Die musste es doch wissen. Und Frau S., die jetzt und schon länger eine selbstständige, zupackende Frau ist, glaubt ihrer Mutter, Nadjas Großmutter, bis heute. Ihr äußeres Leben hat diesen Kinderglauben hinter sich gelassen. Alle Spuren von einem verträumtem, wenig selbstständigen kleinen Mädchen sind schon längst getilgt. Keiner, der Frau S. erlebt, käme darauf, dass sie einst, vor langer Zeit, ein »Klotz-am-Bein-Mädchen« gewesen sein könnte. Sie kann auch nicht sagen, ob sie wirklich so war, klammernd und eine kleine (süße) Störung im Familiengetriebe. Sie weiß nur, dass ihre Mutter sie so empfunden hat. »Also war ich so, hilft alles nichts!«
    Frau S. hat sich schon längst selber geholfen. Und wenn das hier ein Märchen wäre, könnte man sagen: Alles ist gut geworden und sie lebten glücklich bis an ihr Ende. Doch das Leben hat kein Ohr und kein Auge für Märchen, weder auf der Straße noch in einer psychoanalytischen Praxis. Märchen enden immer zu früh. Es gibt eine Tochter. Nadja. Und sie schafft es, die gut gehütete und erfolgreich verpackte Wunde ihrer Mutter wieder aufbrechen zu lassen. Und damit die Wunde nicht wieder bei der Mutter zu bluten beginnt, die muss ja eine Tochter und sich selber durchbringen, blutet die Wunde bei Nadja weiter …
    Doch die Wunde ist bei Nadja zum Stillstand gekommen. Nicht weil die Therapie doch noch Märchen entstehen lässt, sondern weil Nadjas Mutter der eigenen Mutter inzwischen nicht mehr glaubt. Weil sie selber bestimmt, wer und was sie ist - aufgrund ihres jetzigen Lebens. Sie konnte aber auch verstehen, dass ihre Mutter, einsam, auf sich selber gestellt und von Existenzsorgen gequält, die zwei Kinder damals als Klotz am Bein hat erleben müssen.
    Nadja, das sei hier noch erwähnt, war zu keinem Zeitpunkt der therapeutischen Behandlung ein verträumtes, wenig
selbstständiges Mädchen. Die Mutter glaubt, sie wäre es noch geworden: »Weil ich sie in diese Richtung gdrängt hätte. Ich wollte nie mehr das Gefühl haben, dass ich störe, einem anderen nur eine Last bin. Das ist einfach schrecklich. Doch noch schrecklicher war in den letzten zwei Jahren mein Schuldgefühl Nadja gegenüber. Ich habe gemerkt, dass ich irgendwas mit ihr mache, was nicht in Ordnung ist, dass ich sie auf eine Art anschaue, die gemein ist und die ihr nicht guttut.«
    Diese Schuldgefühle haben ihren Ursprung in der unwissentlich und unbewusst herbeigeführten psychischen Manipulation des eigenen Kindes. Es gibt viele Nadjas oder Fabians - die Jungen sind davon genauso betroffen. Die eigenen Kinder werden so lange »bearbeitet« in der Wahrnehmung der Eltern, bis sie »passen«. Nüchtern gesagt: bis sie der sichere neue Symptomträger in der Familie werden. Weniger nüchtern gesagt: bis sie den Eltern die Gewissheit geben, dass ihr Leben nichts mehr mit Einsamkeit, Traurigkeit und Versagen zu tun hat. Mit Zweifeln am eigenen Wert schon gar nicht.

Vergessliche Eltern - verlorene Kinder
    Man will es, einmal erwachsen und Eltern geworden, geschafft haben. Man will sich erfolgreich befreit haben aus alten Stunden der Verstörung, aus einer familiären Schicksalsgemeinschaft, die einen nicht immer den Stuhl hingestellt hat, wenn man einen gebraucht hätte, damit man sich zugehörig fühlen durfte. Der Stuhl hat in solchen Augenblicken meistens gefehlt oder war schon besetzt. Wie oft wäre man dem Tisch gern ferngeblieben, weil am Tisch eh nur der Teller gefüllt wurde,

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