Damon Knights Collection 7
sind«, erklärte sie, »jedenfalls in gewissen Kreisen. Ich zeichne nichts mehr für dich.« Ungerührt balancierte sie die Untertasse mit der Asche auf einer Handfläche in die Küche. Ich vernahm ihre Stimme, dann die meiner Mutter, dann wieder die meiner Mutter und dann die unseres Gastes, die einen Felsen erweichen hätte können, doch was sie redeten, habe ich nie erfahren.
Ich ging in jenem Sommer oft abends am Zimmer unseres Gastes vorüber, durch den Korridor vorbei an dem vermieteten Raum im ersten Stock, wo die Fenster sich zum dunklen Garten hin öffneten. Alles war immer hell erleuchtet. Meine Mutter hatte die weißen Gardinen selbst genäht, weil sie so etwas immer selbst machte, und die Möbel stammten aus einer Auktion: eine Kommode mit einer Marmorplatte, ein Kleiderschrank, ein gußeisernes Bettgestell und an der Wand ein alter Victrola-Plattenspieler. Gewöhnlich lag ein aufgeschlagenes Buch auf dem Bett. Ich stand dann im Schatten vor der offenen Tür und schaute neugierig hinein, über den nackten Holzfußboden, weit und glatt wie ein gefrorener See und so glänzend gewachst, daß er im Lampenschein blitzte. An der Schrankseite hing ein schwarzes Gewand, darunter standen bequeme Schnallenschuhe mit breiten Absätzen, wie sie auch meine Mutter trug. Ich hätte zu gern gewußt, ob sie unten im Kleiderschrank silberne Abendpumps hatte. Manchmal war es Wells’ Buch D IE Z EITMASCHINE , das aufgeschlagen auf dem Bett lag, und dann redete ich gegen die schwarzen Fensterscheiben mit ihren transparenten Spiegelungen und den sich dahinter schwarz abzeichnenden Baumästen.
»Ich bin erst sechzehn.«
»Du siehst wie achtzehn aus«, erwiderte sie dann.
»Ich weiß«, sinnierte ich weiter. »Ich möchte gern achtzehn sein. Ich möchte von hier fort und aufs College gehen. Am liebsten Radcliffe, glaube ich.«
Sie hüllte sich in Schweigen, verblüfft.
»Lesen Sie Wells?« erkundigte ich mich und lehnte mich an den Türstock. »Ich finde das komisch. Hier am Ort liest niemand; sie interessieren sich nur für Geselligkeit. Ich lese aber eine Menge. Ich möchte gern viel dazulernen.«
Das entlockte ihr ein Lächeln, quer durch den Raum.
»Ich habe einmal etwas Komisches getan«, fuhr ich fort. »Ich meine komisch zum Lachen, nicht seltsam komisch.« Das war eine Redewendung, neuerdings in aller Mund. »Ich habe D IE Z EITMASCHINE gelesen und dann alle Leute gefragt, ob sie Eloi oder Morlocks sei en; sie haben sich alle darüber amüsiert. Es lief nämlich darauf hinaus, was man am liebsten wäre, wenn man es sein könnte, wie beispielsweise ein Optimist oder ein Pessimist, oder ob man Bubiköpfe mag.« Dann fragte ich: »Was sind Sie?« Sie zuckte nur mit den Achseln und lächelte ein wenig breiter. Sie stützte das Kinn in eine langgliedrige Hand und schaute mit ihren schwar zen ägyptischen Augen in meine und sagte dann mit ihrer seltsam heiseren Stimme:
»Du mußt es zuerst sagen.«
»Ich glaube«, antwortete ich, »daß Sie eine Morlock sind.«
Da hockte sie auf dem Bett in dem von meiner Mut ter untervermieteten Zimmer, neben ihr die aufgeschlage ne Z EITMASCHINE , und entgegnete:
»Du hast absolut recht. Ich bin eine Morlock. Ich bin eine Morlock auf Urlaub. Ich kam direkt von der letzten Morlock-Versammlung, die zwischen den Sternen in einem großen Goldfischglas abgehalten wird, wo sich die Morlocks wie Fledermäuse an der Innenseite festklammern müssen, manche mit dem Kopf nach oben, die anderen andersherum, weil es dort oben kein Oben und Unten gibt; sie hocken zusammen wie eine Schar schwarzer Krähen, wie eine nach außen gewendete Kastanienschale. Es gibt ungefähr ein halbes Tausend Morlocks, und wir beherrschen die Welten. Meine schwarze Uniform hängt im Schrank.«
»Das habe ich mir doch gleich gedacht«, sagte ich.
»Du hast immer recht«, erwiderte sie, »und du kennst auch den Rest der Geschichte. Du weißt, wie mörderisch wir sind und wie gräßlich wir leben. Wir warten auf den großen Knall, wenn alles zusammenfällt und sogar die Morlocks ausgelöscht werden; in der Zwischenzeit bleibe ich hier und warte auf das Zeichen, und ich hefte Nachrichten an das Amateur-Ölgemälde deiner Mutter von der Hauptstraße, weil es eines Tages in einem Museum hängen wird und meine Freunde es dort finden können. Und bis dahin lese ich D IE Z EITMASCHINE .«
Darauf fragte ich: »Kann ich mit Ihnen kommen?« und lehnte dabei im Türrahmen.
»Ohne dich«, erwiderte sie ernsthaft,
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