Damon Knights Collection 9
Annie kichert, doch wir alle über hören es. Endlich sind die Erbsen enthülst, und ich set ze meinen Spaziergang durch die Stadt fort, indem ich auf dem Heimweg hier und da ein paar Bekannte besuche. Verwesung und Tod breiten sich über Somerset aus gleich einer Krankheit, die langsam und schleichend beginnt und nur dann zum Ausbruch gelangt, wenn sie sich der Vernichtung ihres Wirtes absolut sicher ist.
Der Nachmittag ist sehr heiß und still. Ich versuche zu schlafen, doch nach zehn Minuten gebe ich es auf. Ich denke an das Kanu, das in der Garage steht, und an den See, der einen guten Kilometer entfernt ist. Und plötzlich quäle ich mich mit dem Gepäckhalter am Wagen ab, versuche das Kanu hochzuhieven, während das Bootsende den Wagen zerkratzt.
Ich gleite den stillen Fluß hinunter, überrasche einen Biber und drei oder vier herumtollende Ottern; ein Schwarm Wachteln fliegt auf mit einem irren Lärm, der an eine Herde Pferde erinnert. Ein Fisch springt hoch und landet fast auf dem Kanu. Diesmal bin ich allein hinausgefahren, um die Stromschnellen zu bezwingen, ohne daß jemand am Ufer steht, der meinen Erfolg beklatscht oder mein Scheitern angstvoll beobachtet. Der Strom wird schneller, und ich kann das Getöse bereits hören, zwar noch weit entfernt, doch scheint es keine Möglichkeit mehr zu geben, den Kurs zu ändern. Ich weiß, daß ich Angst habe, schreckliche Angst vor dem weißen Wasser und den Felsen und dem starken Gefälle und den trügerischen Wirbeln, die einen saugen und saugen in einem nie endenden Kreis des Todes. Ich möchte die Stromschnellen überwinden, und ich habe solche Angst. Das Getöse wächst und scheint alles zu verschlingen. Die Strömung gleicht nun einem Fließband, das mich auf seiner Oberfläche trägt, ohne Seitenstrudel und Kurven. Es steuert direkt auf die Felsen zu. Ich kann das Kanu nicht wenden. In letzter Minute springe ich heraus und schwimme ver zweifelt weg von dem Fließband aus Wasser. Ich heu le, und meine Augen sind blind von Tränen, und nur das Gefühl der Strömung läßt mich das Ufer finden. Ich schlage meine Knie an einem Felsen auf, stehe auf, erreiche das Ufer und falle bäuchlings in das Unkraut. Das Kanu ist verloren, und ich werde niemandem erzählen, was passiert ist. Den darauf folgenden Sommer kauft er mir ein neues, aber das mit den Stromschnellen habe ich nie wieder probiert.
Und nun gibt es keine Stromschnellen mehr. Nur einen friedlichen See mit sumpfigen Ufern und schlickigem Wasser, dunkel von Algen und Wasserhyazinthen. Mir ist so heiß, nachdem ich das Kanu auf den Wagen befördert habe, und die Luft ist so schwer und drückend. Vielleicht kommt ein Sturm auf. Es erregt mich und ich möchte wieder zu Hause sein, wenn die ersten Böen wehen. Ich möchte die Esche im Wind sehen, und als ich den Gedanken weiterverfolge, wird mir klar, daß ich mir wünsche, sie im Sturm stürzen zu sehen. Das schockiert mich. Es ist so kindisch. Habe ich je irgend jemand, mich eingeschlossen, eingestanden, warum ich jeden Sommer zurückkomme? Ich kann es nicht ändern. Vermutlich bin ich vom Tod fasziniert. Im Krankenhaus verwalte ich täglich den Tod in kleinen Dosen, kontrollierter Tod, befristeter Tod. Unwiderstehlich zieht es mich nach Hause, da auch hier der Tod herrscht. Es ist, als würde man an das Bett eines geliebten Wesens gezogen, von dem man weiß, daß es sterben wird, ergriffen und verängstigt zugleich, neugierig, was Tod letztendlich ist. Sorgfältig versuchen wir, die Neugierde vor den anderen, den Fremden, zu verbergen. Und darum hasse ich den Harvard-Doktor so sehr: er mischt sich in eine Familienangelegenheit ein. Dies hier ist unser Tod, nicht seiner, den es zu beobachten und zu beweinen und zu beklagen gilt. Ich weiß, daß er irgendwie von diesem Tod erfahren hat und daß es das ist, was ihn hierhergezogen hat, so wie es mich herzieht, und ich verweigere ihm das Recht, unsere Sorgen zu teilen, unseren Schmerz zu testen, unseren Verlust zu messen.
Der Sturm hängt am Horizont außer Sichtweite. Der Wechsel des Luftdrucks deprimiert mich ebenso wie die schwüle Hitze, der verwilderte Hof und das leere Haus, das dennoch von unsichtbarem Leben bebt. Schließlich nehme ich den Brief meines Vaters aus der Tasche und öffne ihn. Ich weine nicht mehr über diese Briefe, aber die Erinnerung an die Anfälle in der Vergangenheit erfüllen mich mit einem Nachgeschmack von Tränen, als ich auf die kindische Schrift starre: große, ungraziöse
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