Danach
angeht. Anfangs schien sie die Aufmerksamkeit zu genießen, die sie dadurch erhielt, aber im Laufe der Monate wurde es immer mehr zum Tabuthema. Aber das ist natürlich lange her. Seitdem ist viel Wasser den Bach hinuntergeflossen.«
Die Sache begann interessant zu werden.
»Im Laufe der Monate? Sie hatten also damals eine längere Beziehung zu ihr?«
Er errötete wieder. Das Thema schien ihn immer noch aufzuwühlen. »Hat sie das nicht erwähnt?«
»Nein, hat sie nicht.« Er wirkte enttäuscht.
»Ja, wir waren eine Weile zusammen. Nach diesem Artikel, den ich über sie geschrieben hatte. Es dauerte nicht mal ein halbes Jahr, aber … na ja, sie ist eine ziemlich außergewöhnliche Frau.«
Allerdings, dachte ich. In mir stieg der Verdacht auf, dass Adele ein verstecktes Motiv für die Beziehung mit dem Reporter gehabt hatte. Minute für Minute wurde diese Frau faszinierender.
»War das nicht irgendwie komisch? Dass Sie über den Fall berichtet haben und gleichzeitig mit Adele zusammen waren?«
Er schüttelte den Kopf. »Was soll ich sagen? Ich habe eben einfach die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Nachdem er verurteilt wurde, haben wir sowieso nur noch Hintergrundgeschichten gebracht und mühsam zusammengekratzt, was wir finden konnten, um die Story am Leben zu erhalten. Ein Interview mit seinen Highschoollehrern, ein Porträt über den Architekt seines Hauses, ein Abriss seiner Forschungsarbeit, so was alles. Um die Sache am Laufen zu halten. Der Bösewicht in all seinen Facetten sozusagen.«
»Ein Abriss seiner Forschungsarbeit?«
»Ja. Darum ging es in meinem letzten Artikel über ihn.«
Er wirkte jetzt noch nervöser.
»An den Artikel kann ich mich gar nicht erinnern«, hakte ich ein. »Wurde er je veröffentlicht?« Ich spürte, dass er irgendetwas verheimlichte.
»Nein. Es war auch keine große Sache. Nichts für die Titelseite.«
»Hatten Sie deswegen Streit mit Adele?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Verstehe.« Adele hielt Jacks Forschungsarbeit also sehr wohl für relevant. Jedenfalls relevant genug, um andere davon fernzuhalten.
»Wirklich schade, dass das mit Adele und mir nichts geworden ist«, seufzte er. »Aber andere Dinge waren ihr eben wichtiger, vor allem diese Gruppe, in der sie Mitglied war.« Er versuchte offenbar, das Thema zu wechseln.
»Welche Gruppe?« Jetzt war mein Interesse endgültig geweckt.
»Das weiß ich auch nicht so genau. Irgend so eine universitäre Geheimloge, ähnlich wie Skull & Bones in Yale. Sehr düster und geheimnisvoll, aber so war sie nun mal. Wahrscheinlich hat genau das den Reiz für mich ausgemacht. Sie war eine Herausforderung.« Er schien in seine Erinnerungen abzutauchen, denn sein Blick verlor sich hinter mir in der Ferne.
»Was meinen Sie mit geheimnisvoll?«, fragte ich laut, um ihn aus seiner Träumerei zu reißen.
Mit einem Ruck kehrte er in die Gegenwart zurück und betrachtete mich nachdenklich, als wüsste er nicht, ob er fortfahren sollte. Vielleicht war ihm gerade aufgegangen, dass er in Adeles Achtung nicht unbedingt steigen würde, wenn er mir zu viele Geheimnisse verriet.
Dann zuckte er wieder mit den Schultern und antwortete: »Na ja, ich habe ihr hin und wieder Fragen über ihre Familie gestellt, ihre Vergangenheit. Ganz einfache Dinge, wo sie aufgewachsen ist zum Beispiel, oder wo sie zur Schule ging. Aber sie hat es immer geschafft, mir auszuweichen.« Er rutschte unruhig auf der Bank des Picknicktischs herum und lief rot an, wie es nur Menschen mit seiner Gesichtsfarbe können. Ich fragte mich, in welchen Erinnerungen an Adele er wohl gerade schwelgte. Ich war mir sicher, da gab es so einige.
»Wissen Sie, wer noch in dieser Gruppe war?«
»Nein, keine Ahnung. Ich weiß nur, dass die Mitglieder sich zu den seltsamsten Zeiten getroffen haben, manchmal mitten in der Nacht. Meistens wurden die Treffpunkte erst kurz vorher bekanntgegeben. Sie hat das alles sehr ernst genommen, und wenn ein Treffen angesetzt war, hat sie sich durch nichts davon abhalten lassen. Dann war alles andere plötzlich nebensächlich.«
Ich bedankte mich bei ihm und stand auf. Er sah mich verdutzt an.
»Warten Sie, wir haben doch bisher nur über Adele gesprochen. Wollten Sie nicht mehr über Jack Derber erfahren? Für Ihre Doktorarbeit?«
Ich wusste bereits alles, was ich wissen musste.
»Dafür vereinbaren wir am besten einen Telefontermin. Ich bin nämlich spät dran für ein wichtiges Seminar, aber vielen Dank«, murmelte ich umständlich und
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