Danach
Ende dieser Minuten passieren würde.
Das war das große Problem: Wir warteten und warteten. Ständig. Insgeheim wünschten wir uns sogar, dass endlich etwas passierte, denn was uns am meisten zusetzte, war die Langeweile. Aber wenn dann tatsächlich etwas geschah, war es normalerweise mit Schmerzen verbunden. Dann bereuten wir unseren Wunsch.
An diesem Tag hatte Tracy eindeutig keine Lust zu reden. Sie war blass und schwitzte, trotz der Kälte, die im Keller herrschte. Wieder schloss sie die Augen und dämmerte weg. Sonst schlief sie nicht so viel. Irgendetwas stimmte nicht.
Ich wartete, bis ihr Atem langsam und regelmäßig wurde, und kroch dann zu ihr hinüber. Ich brauchte fast eine Viertelstunde bis zu ihrer Matratze, weil ich darauf achten musste, dass meine Kette nicht klirrte und mich verriet. Zu diesem Zweck nahm ich jeweils so viele Kettenglieder wie möglich in die Hand und legte sie vor mir auf den kalten Zementboden, damit sie kein verräterisches Geräusch machten, wenn ich sie hinter mir herzog. Als ich endlich vor Tracys schlafender Gestalt kniete, betrachtete ich sie prüfend und suchte ihre Haut nach Hinweisen ab.
Und da sah ich sie.
Auf ihrem Arm waren blasse, aber unverkennbare Einstiche zu erkennen. Sieben kleine Punkte, die auf ihrer bleichen Haut eine vollkommen gerade Linie bildeten. Man sah genau, wo die Nadel eingedrungen war. Sogar die frische Einstichstelle von diesem Tag war an ihrem geröteten Rand zu erkennen.
Er spritzte ihr Heroin. Nicht aus Mitleid. Nicht, damit sie ihren Qualen für eine Weile entkam. Nein, er bestrafte sie. Er machte sie süchtig, um noch mehr Macht über sie zu haben.
Es war bestimmt kein Zufall, dass er diese spezielle Art der Folter gewählt hatte. Sein Wahnsinn hatte immer Methode. Er musste irgendwie herausgefunden haben, welche Bedeutung diese Droge für sie hatte, welche Rolle sie in ihrem Leben spielte. Er musste gewusst haben, dass es fast nichts gab, womit er ihr mehr Schmerzen zufügte als mit den schönen Gefühlen und der Erleichterung, die dieses Gift auslöste.
Aber woher? Tracy hatte sich von Anfang an standhaft dagegen gewehrt, dass er in ihre Erinnerungen und ihre Gedanken eindrang. Er musste ihr schwer zugesetzt haben. Hatte sie ihm in einem Moment der Schwäche von ihrer Mutter erzählt, von jener Nacht im Club?
Nachdem ich die Einstiche entdeckt hatte, kehrte ich, so schnell es ohne Lärm zu machen ging, auf meine Matratze zurück und wartete, bis sie aufwachte.
Es dauerte mehrere Stunden, bis sie sich erhob und erneut langsam zum Badezimmer wankte. Ich hörte sie wieder würgen und beobachtete dann, wie sie sich auf ihre Matratze zurückschleppte. Sie schien sich schon ein wenig besser zu fühlen, jedenfalls gut genug, um mich böse anzufunkeln und mir zuzuzischen, ich solle sie verdammt nochmal endlich in Ruhe lassen. Ich schwieg, weil ich wusste, dass es sicherer war, keine Widerworte zu geben. Ich würde einfach abwarten, was sie als Nächstes tat.
Aber sie saß nur in ihr Elend versunken da und starrte auf die Kiste. Vielleicht redete sie sich ein, dass es noch schlimmere Schicksale gab als ihres.
Ich schaffte es gut zehn Minuten, sie nicht anzugucken, aber dann konnte ich mir einen Blick auf ihren Arm nicht länger verkneifen. Dieses Mal erwischte sie mich dabei, drehte den Arm von mir weg und bedeckte die Einstichstellen mit der Hand.
Ich war selbst überrascht, als mir die Tränen in die Augen stiegen, zum ersten Mal seit Monaten. Obwohl die Unerträglichkeit unserer Kellerexistenz nach wie vor jedes andere Gefühl überlagerte, überkam mich eine große Erleichterung, als ich mir nun die Tränen wegwischte.
Weil ich um Tracy weinte.
Diese Tränen waren der Beweis dafür, dass meine Gefühle den harten Panzer, den ich im Keller entwickelt hatte, immer noch durchdringen konnten. Ich hatte geglaubt, sie wären für immer verschwunden, aber vielleicht war ich doch noch kein Tier. Irgendwo tief in mir drin steckte immer noch ein Mensch.
27
Am Morgen nach meinem Gespräch mit Scott Weber traf ich mich mit Tracy im Frühstücksraum des Hotels. Es war ein herrlicher Junitag, und während wir dort saßen, Rührei aßen und uns gegenseitig erzählten, wie es am Vortag gelaufen war, hätte man beinahe vergessen können, warum wir hier waren.
»Also, was Adele Hinton angeht, steht meine Diagnose«, begann Tracy. »Willst du sie hören?«
Ich nickte.
»Die klassische frustrierte Akademikerin. Klassenbeste in der Highschool und
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