Dance of Shadows
verschwunden sind. Und nicht nur ein paar von denen, sondern alle.«
Sie gingen die Artikel zusammen durch. Obwohl Vanessa sie schon gesehen hatte, krampfte sich ihr Magen noch immer zusammen, als sie die Fotos sah. Steffie hatte recht; die weißen Figuren hatten fast alle Namen der bis heute spurlos verschwundenen Mädchen genannt, die für eine Solorolle vorgesehen gewesen waren.
»Ich versteh das nicht«, sagte Vanessa. »Warum flüstern sie diese Namen?«
Steffie kicherte nervös. »Ich fasse es einfach nicht, dass wir über Figuren auf einer Wand reden«, sagte sie.
»Ich weiß«, sagte Vanessa. »Aber sie waren echt. Ich habe sie gesehen.«
»Ich glaube dir«, sagte Steffie ruhig.
Vanessa schaute sie an. »Manchmal frage ich mich, ob ich ganz einfach verrückt werde. Ob ich den Druck einfach nicht mehr aushalte.«
»Vielleicht ist es nicht nur der Druck«, sagte Steffie und überflog nochmals den letzten Artikel auf ihrem iPad. »Diese ganzen Mädchen waren für eine Hauptrolle vorgesehen, und sie sind alle verschwunden. Sie können doch nicht alle durchgedreht und weggerannt sein – es sind einfach zu viele.«
»Aber … Und was jetzt?«
»Wir müssen mehr darüber rausfinden. Es ist ja nicht so, dass jedes Mädchen, das jemals eine Hauptrolle hatte, verschwunden ist. Was war das Besondere an genau diesen Mädchen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Vanessa. Sie versuchte zu helfen, aber sie konnte nur an Margaret denken.
»Wir müssen rauskriegen, was sie alle gemeinsam haben«, sagte Steffie.
Vanessa starrte auf den Artikel auf dem Bildschirm. Er war schon fast zehn Jahre alt. Ein paar Lehrer hatten die Mädchen vielleicht noch gekannt, aber sie konnte sie schlecht nach jedem einzelnen Mädchen fragen, das verschwunden war – das wäre viel zu auffällig gewesen. Sie wusste nicht, wem sie hier vertrauen konnte. Etwas Merkwürdiges ging vor, und in einer kleinen Schule, wo der Klatsch schnell die Runde machte, wollte sie nicht, dass herauskam, dass sie über eine Reihe verschwundener Mädchen Nachforschungen anstellte. Im besten Fall würde man sie für verrückt halten und im schlechtesten Fall … darüber wollte sie lieber nicht nachdenken. Wie lang waren eigentlich Josef und Hilda schon an der New Yorker Ballettakademie? Eine ganze Weile wohl, dachte sie, obwohl sie keinen von beiden direkt danach fragen konnte. Es sei denn …
Vanessa setzte sich auf und wandte sich zu Steffie. »Ich hab eine Idee. Aber du musst die nächste Stunde wohl ausfallen lassen.«
Schwarzes Trikot, schwarze Leggings, schwarze Strickjacke. Vanessa machte sich einen Haarknoten, der tief im Nacken saß, und hoffte, ihre roten Haare würden auf diese Weise nicht so auffallen. »Fertig?«, fragte sie Steffie und zog sich ihre flachen schwarzen Schuhe an. Ihre Freundin, ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet, nickte. Sie hatten dreißig Minuten Zeit, bis die nächste Stunde zu Ende war.
Die Lobby des benachbarten Gebäudes, wo der Unterricht stattfand, war lichtdurchflutet. Alles war leer und still bis auf den Brunnen, der bei der Treppe plätscherte. Vanessa und Steffie bewegten sich lautlos über den Marmorboden. Sie wussten, dass alle anderen jetzt entweder Unterricht hatten oder in einer Probe waren.
Das Büro von Josef befand sich etwas abseits, in einem Erker am Ende des Flures. Beim letzten Mal hatte Vanessa gesehen, dass der Aktenschrank leicht offen gestanden hatte, und sie hatte Ordner mit den Namen der Studenten entdeckt. Vanessa führte Steffie zur Tür und erinnerte sich daran, dass sie zufällig mitgehört hatte, wie Josef und Hilda über ihre Schwester gesprochen hatten.
»Bist du sicher, dass er weg ist?«, flüsterte Steffie, als sie vor der Tür lauschten.
»Ja – zumindest zu neunundneunzig Prozent«, sagte Vanessa.
»Was? Warum?«
»Er sollte heute eigentlich bei der Nachmittagsprobe sein, aber als ich gegangen bin, war nur Hilda da.«
Steffie wollte etwas antworten, doch Vanessa redete schnell weiter.
»Wahrscheinlich war er einfach nur spät dran. Außerdem sind wir jetzt schon mal hier, oder?«
»Ja, aber wenn er hier ist und uns schnappt, fliegen wir wahrscheinlich«, zischte Steffie.
»Willst du lieber abwarten, bis hier noch jemand verschwindet?«, fragte Vanessa.
Steffie zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Also los, mach die Tür auf.«
Vorsichtig drehte Vanessa am Türknauf. Es war nicht abgeschlossen. Sie stieß die Tür auf und spähte ins Dunkel. Über die Schulter
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