Dance of Shadows

hinweg warf sie Steffie einen aufmunternden Blick zu, dann schlichen sie wie schwarze Katzen hinein.
    Im Büro sah es genauso aus, wie sie es von ihrem letzten Besuch her kannte. Auf dem Schreibtisch lagen Papiere, Bücher und ein paar Stücke von dem merkwürdigen, klebrigen Kolophonium. An den Wänden standen Vitrinenschränke, darin Pokale und Medaillen. Direkt daneben war die Gittertür, die in Josefs Privatbibliothek führte. Steffie rüttelte daran, um zu sehen, ob sie vielleicht offen war. Aber so viel Glück hatten sie nicht.
    »Hier drüben«, flüsterte Vanessa und führte sie zum Aktenschrank hinter Josefs Schreibtisch. Sie schaltete die Deckenlampe ein, die den Raum in ein dämmriges orangefarbenes Licht tauchte, und las, was auf den Akten stand. Dann suchten sie nach den Namen, die die weißen Figuren genannt hatten.
    Zuerst konnten sie keinen finden, bis Steffie auf die Idee kam, in den unteren Fächern nachzuschauen, wo die Akten von früheren Schülern der NYBA lagerten. Einige Akten waren ausgeblichen und durcheinander, und die älteren waren so zerknickt, dass es fast ein Wunder war, dass sie überhaupt noch leserlich waren. Aber nachdem sie ein bisschen gesucht hatten, fanden Vanessa und Steffie nach und nach alle Akten der vermissten Mädchen, die die leuchtenden Figuren genannt hatten.
    Während Steffie die Unterlagen durchblätterte, zog Vanessa eine einzelne Mappe hervor, auf der
Margaret Adler
stand. Sie war überrascht, wie dünn sie war, wie ihre blasse Farbe und das leichte Gewichtihre Schwester zu verkörpern schienen. Irgendwie hatte sie erwartet, die Akte würde dicker sein, voller Informationen über ihr Verschwinden. Stattdessen enthielt sie nur ein paar lumpige Blätter.
    »Hier ist nichts«, murmelte Vanessa, halb zu Steffie und halb zu sich selbst. Sie nahm das nächste Blatt, dann das übernächste, aber darauf standen nur Dinge, die sie bereits wusste oder die sie für unerheblich hielt: Margarets Stundenplan, ihre Noten, mit wem sie das Zimmer teilte, einige gekritzelte Notizen von Hilda über ihre Fortschritte.
    Vanessa warf einen Blick auf die handschriftlichen Notizen auf dem letzten Blatt. Es war ein Bericht über Margarets tänzerische Stärken und Schwächen.
Alles normal
, dachte Vanessa, bis sie ans Ende der Seite kam.
    »Hier steht, dass meine Schwester direkt vor ihrem Verschwinden den Solopart im
Danse du Feu
bekommen hat.« Vanessa schaute hoch. »So nennt Josef den zusätzlichen Tanz im
Feuervogel
.«
    Steffie schaute von ihren Akten auf, ihr Gesicht wirkte im Licht der Lampe rot. »Hier drin steht genau das Gleiche!« Sie hielt Chloës Akte hoch.
    Sie gingen die restlichen Akten durch:
Rebecca Harding. Hannah Gary. Josephine Front.
In jeder Akte der gleiche handschriftliche Vermerk »Solopart im
Danse du Feu
«. Und jeder Eintrag war unterschrieben mit
Josef
.
    »Wenn das einfach nur die letzte Tanzszene ist, warum schreibt Josef das noch mal extra auf, als wäre es eine eigene Aufführung?«, fragte Vanessa. »Wenn sie die Hauptrolle im
Feuervogel
hat, dann ist es doch ganz klar, dass dazu auch der Solopart des
Danse du Feu
gehört, oder?«
    »Ich weiß nicht«, murmelte Steffie. »Aber es sieht ganz so aus, als wäre der
Danse du Feu
in verschiedenen Produktionen dreizehn Mal aufgeführt worden, das erste Mal vor etwa zwanzig Jahren. Er mussdiesen Teil an unterschiedliche Ballettaufführungen drangehängt haben. Der Tanz wird nicht nur zusammen mit dem
Feuervogel
aufgeführt. Es ist etwas   … Zusätzliches.«
    »Glaubst du   …?«, begann Vanessa, doch dann hielt sie inne, und ihre Gedanken rasten. »Glaubst du, dass das Zufall ist?«
    »Ich weiß nicht«, murmelte Steffie und sah sich im Büro um. »Aber das lässt sich ja rauskriegen«, sagte sie und schlug ihre Akte zu. »Wir sehen uns die Sache mal genauer an.«
    Sie durchsuchten alles: Josefs Schubladen, die Bücher und Unterlagen auf dem Schreibtisch, von denen die meisten in Französisch oder Russisch abgefasst waren, und die Akten der derzeitigen Schüler. In Steffies Akte stand nichts Außergewöhnliches, dasselbe galt für Blaines und TJs Akte. Und zu ihrer Überraschung auch für Ellys. Keinerlei Eintragung, dass sie im September aufgehört hatte – die Notizen endeten im September, als hätte sie danach aufgehört zu existieren. Auch in Justins Akte fanden sich keine besonderen Einträge, nur bei den Fratelli-Zwilllingen stand ganz unten eine seltsame Notiz. Lyrische Elite?, hatte jemand