Dance of Shadows
Er machte eine Kunstpause. »Viele von euch haben mir das nicht geglaubt.«
Alle im Raum schienen den Atem anzuhalten.
»Aber heute Morgen komme ich nicht nur mit einer Warnung zu euch, sondern auch mit einer ernüchternden Nachricht. Eine eurer Klassenkameradinnen, Elinor Pym, hat beschlossen, unsere Gemeinschaft zu verlassen. Sie hat den Druck und die körperlichen Anstrengungen nicht ertragen und beschlossen, andere Möglichkeiten wahrzunehmen«, sagte Josef. »Und vielleicht ist das auch besser so.«
»Was?«, wandte sich Steffie flüsternd an Vanessa. »Nach nur einer Woche? Hat sie dir jemals vorgejammert, sie sei überanstrengt?«
Steffie runzelte die Stirn. »Nein, nie.«
»Mir auch nicht«, sagte Vanessa, während Josef weiter erläuterte, einige Schüler seien emotional nicht stark genug, um die tägliche Belastung auszuhalten, der Balletttänzer nun einmal ausgesetzt seien. Aber es klang nicht einleuchtend. Obgleich Elly in den vergangenen Tagen geistesabwesend gewirkt hatte, hatte Vanessa nie den Eindruck gehabt, dass sie mit dem Gedanken spielte, aufzugeben. Sicher, ihr waren bei den Übungen ein paar Patzer unterlaufen, aber das ging allen so. Elly war eine gute Tänzerin und ständig um Fortschritte bemüht, und was am wichtigsten war, sie hegte eine Leidenschaft fürs Tanzen. Warum also war sie fortgegangen?
»Es wird wahrscheinlich nicht bei einem einzigen Fall bleiben. Die New Yorker Ballettakademie ist kein Zuckerschlecken. Viele von euch werden nicht lang genug durchhalten, um das Herbstlaub im Central Park zu sehen.« Er faltete die Hände. »Lasst euch das eine Warnung sein!«
Einige Schüler begannen miteinander zu tuscheln, denn sie dachten, Josef sei mit seiner Rede fertig, doch dann fuhr er fort: »Oh, und noch etwas. Vanessa Adler?«
Vanessa erstarrte. Langsam hob sie die Hand.
»Ah, da bist du ja«, sagte Josef. »Ich würde dich gern nach dem Unterricht in meinem Büro sehen.«
Alle Köpfe wandten sich in ihre Richtung, und sie hörte ein paar Mädchen in der Ecke murmeln. Schweigend nickte sie. Als alle aufstanden und zur Ballettstange gingen, blieb Vanessa noch einen Augenblick sitzen und sah Josef nach, wie er hinausging.
»Warum will er dich sehen?«, fragte Blaine, als sie sich aufstellten.
Noch bevor Vanessa antworten konnte, warf TJ ein: »Wenn sie wüsste, was er ihr sagen will, dann hätte er sie erst gar nicht in sein Büro bestellen müssen, du Schlaumeier.«
»Vielleicht ist es wegen gestern Nacht im Theater«, sagte Steffie. »Vielleicht hat er gesehen, dass wir uns da herumgetrieben haben, und du – du fällst von uns allen eben am meisten auf.«
Unwillkürlich sah Vanessa in den Spiegel und auf ihr leuchtend rotes Haar, das nun zu einem festen Chignon zurückgesteckt war. Sicher hatte Steffie recht. Warum sollte Josef sonst mit ihr reden wollen? Als Hilda die Anweisungen für die Übungen gab, hoben und senkten sich die Köpfe vor Vanessa im gleichen Rhythmus, so wie jeden Morgen, nur dass Elly jetzt nicht mehr dabei war.
Der restliche Tag verging wie im Flug. Wenn Vanessa durch die Korridore ging, suchte sie unter den Schülern, die ihr entgegenkamen, ständig nach Zep, aber sie hatte kein Glück. Selbst am Samstag herrschte in der Schule große Betriebsamkeit. Nach dem Nachmittagstraining trafen Vanessa, Steffie und TJ auf Blaine, der gerade mit einem großen, athletischen Jungen namens Garret sprach. Blaine kicherte nervös, als er ihnen Garrett vorstellte, und dann kicherte er noch einmal, als sich Garrett verwirrt mit einem »Bis morgen dann« verabschiedete.
»Ist dieses Gegacker etwa dein Balzruf?«, spöttelte TJ, während sich Blaine verlegen räusperte.
»Hey, ich fress mir dafür, im Gegensatz zu dir, keinen Winterspeckan«, konterte er und stupste TJ in ihr kaum wahrnehmbares Bäuchlein.
»Lass das«, sagte TJ, ein bisschen gereizter als üblich. Seit Ellys Verschwinden waren sie alle nicht mehr so gut drauf. »Hat dir noch keiner gesagt, dass man Frauen gegenüber niemals Witze über ihr Gewicht machen soll?«
»Hey«, unterbrach Steffie sie. »Habt ihr was von Elly gehört?«
Blaine und TJ verstummten.
»Wir sollten noch mal mit Kate reden«, sagte Steffie. »Vielleicht weiß sie ja jetzt mehr.«
»Hoffentlich«, sagte Blaine. »Denn was Josef gesagt hat, klang alles andere als einleuchtend.«
Als sie Richtung Wohnheim gingen, blieb Vanessa zurück. »Ihr wisst ja, ich kann nicht mitkommen«, sagte sie.
Steffie stützte eine Hand auf
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