Dance of Shadows
Lächeln über ihr Gesicht. Sie hatte Komplimente noch nie gut annehmen können. »Das stimmt nicht«, sagte sie abwehrend. »Es gibt jede Menge Mädchen wie mich. Ich versuche nur, wie alle anderen auch, ein bisschen besser zu sein.«
Zep lächelte. »Siehst du, schon deswegen bist du anders. Nicht jede könnte das von sich behaupten.«
Vanessa kannte eine Menge Mädchen, die das von sich behauptenkönnten – Steffie, TJ, Elly –, aber sie sagte nichts. Stattdessen schob sie ihre Finger langsam immer näher an seine heran, bis sich ihre Daumen berührten. »Und was ist mit dir?«, fragte sie. »Ich weiß gar nichts über dich.«
Zep hob eine Augenbraue. »Was willst du denn wissen?«
»Alles«, erwiderte Vanessa und zog sich das Haar über die Schulter nach vorn. »Woher kommst du?«
»Aus einer Kleinstadt in Minnesota«, sagte er. »Immer nur Schnee und Eis und viele Fabriken. Das war meine Kindheit. Lange, düstere Winter und schwere Arbeit.«
»Wie meinst du das?«
»Ich bin mit meiner Mom und drei jüngeren Schwestern aufgewachsen. Meine Mutter war Krankenschwester, sie hatte immer Spätschicht, sodass wir sie selten sahen. Und was meinen Vater angeht, da erinnere ich mich nur an seine Hände – groß und rau und ganz rissig vom Wind. Er arbeitete in einer Fabrik, glaube ich, aber er ging fort, als meine Schwestern und ich noch ganz klein waren.«
Vanessa leckte ihren Löffel ab und hörte zu, während er von seiner Kindheit und Jugend erzählte und dass es damals bei ihnen oft nichts zu essen gab. Einmal wurde ihnen mitten im Winter die Heizung abgestellt, und die Rohre froren zu. Er musste seine Schwestern jeden Abend eine Meile weit die Straße hinunter zum Haus einer befreundeten Familie schleppen, damit sie in der Nacht nicht erfroren.
»So ungefähr war das bei uns. Als Jugendlicher arbeitete ich nach der Schule stundenweise in einem Diner. Ich wischte die Böden auf und spülte das Geschirr vor. Es war der mieseste Job, den ich je hatte«, sagte er lachend. »Du willst wirklich nicht wissen, was ich alles auf den Toiletten gefunden habe. Aber eines Abends, spät, als alle Gäste weg waren, schaltete ich das Radio an und erwischte zufällig einen Klassiksender. Die Musik dröhnte durchs Lokal, der Raum war erfüllt von Tschaikowsky – und auf einmal war alles anders. Ich spürte,wie das Leben in mich hineinströmte, und ich verlor mein Herz an die Musik. Meine Arbeit ging so schnell vorbei, dass ich am nächsten Abend wieder das Radio anschaltete und ebenso am übernächsten. Die Musik rettete mich von nun an. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal aus dem Fenster blickte: Der Schnee wirbelte über den Boden, und für mich sah es aus wie eine kunstvolle Choreografie.«
Vanessa ging das Herz auf, als sie ihm zuhörte. Er erzählte ihr, wie er ganz allein für sich in der Turnhalle mit dem Tanzen begonnen hatte und wie seine Schulkameraden ihn gehänselt hatten. »Sie haben mich ›Billy Elliot‹ genannt und mir in den Hintern getreten, aber das machte mir nichts aus. Ich wusste nur, dass ich dort rausmusste. Ich fragte herum, bis ich eine Frau fand, die in ihrem Keller Ballettunterricht gab. Außer mir waren nur Mädchen dort, und ich glaube, meine Schwestern haben sich schrecklich für mich geschämt, aber ich hatte keine andere Wahl. Tanzen war das Einzige, was mich glücklich machte, die einzige Chance, die mir Erfolg bescheren und es mir irgendwann einmal ermöglichen würde, meine Familie zu unterstützen. Für mich gab es nichts in dieser Kleinstadt, es war ein einziges Labyrinth an Sackgassen. Als ich dann die New Yorker Ballettakademie entdeckte, wusste ich, wo ich hinwollte. Für mich stellte sich gar nicht erst die Frage, ob man mich dort nehmen würde oder nicht. Es musste einfach klappen.«
Vanessa beugte sich zu ihm hin. Sie hatte noch nie jemanden kennengelernt, der das Tanzen so sehr liebte wie Zep. Selbst Margaret hatte nicht so über das Ballett gesprochen wie er. Es war, als hielte es Antworten und Lösungen für ihn bereit, als wäre das Ballett nicht nur etwas, das er praktizierte. Das Ballett bestimmte, wie er sich bewegte, wie er die Welt sah, wie er sich die Welt vorstellte.
Schönheit
, dachte Vanessa und lauschte seiner Stimme, bis sich das Café allmählich leerte und sie nach Hause zurückschlenderten.
»Bist du eigentlich jemals … unsicher?«, fragte Vanessa.
Zep sah sie verwundert an. »Was meinst du damit?«
»Dass du nicht gut genug bist, ganz
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