Dancing Jax - 01 - Auftakt
das Mädchen Emma immer geträumt – im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen! Fotografiert zu werden und in allen Zeitungen und Magazinen zu erscheinen. Wenn sie, die Pikdame Jill, dieses öde Traumleben weit fort von Mooncaster schon ertragen musste, dann würde sie es wenigstens so interessant und unterhaltsam wie möglich gestalten. Sie würde das Mädchen Emma berühmt machen oder berüchtigt, das war egal. Solange die Leute wussten, wer sie war, war alles recht – das war das einzig Wichtige an diesem grauen Ort.
Lyndsay konnte ihr Glück kaum fassen. Sie war die einzige Fernsehreporterin vor Ort! Was für ein Knüller! Oh, sie konnte schon die Auszeichnungen vor sich sehen, die sich auf ihrem Kaminsims aufreihen würden. Sogar Tara konnte sie sich bildlich vorstellen, wie sie ganz grün vor Neid wurde! Und dafür musste sie lediglich ein Exklusivinterview mit diesem verrückten Mädchen führen, bevor die Polizei aufmarschierte und sie verhaftete.
»Hast du mich drauf?«, kläffte sie Gavin an, während sie vor die Kamera stürzte. »Ja? Super. Warte – meine Lippen sind rau wie Schmirgelpapier. Eine Sekunde!«
Sie wühlte in ihrer Tasche herum. Eine der Jugendlichen, mit denen sie sich vorhin unterhalten hatte, hatte ihr großzügigerweise ein Döschen mit Lippenbalsam geschenkt. Hastig schraubte sie den Verschluss ab und tunkte den Finger ein.
»Hey, gib mir auch was ab«, bat Gavin und befeuchtete sich ebenfalls die Lippen damit.
30
Und auch wenn der Mond hinter diesen grünen Hügeln ringsum untergehen mag, wird Mooncaster doch immer stolz allem trotzen. Keiner soll je seine Grundfesten erschüttern – sie sind stärker, als man sich vorstellen kann.
Während die seltsamen Ereignisse vor der Kirche ihren Lauf nahmen, trug sich unten am Strand etwas völlig anderes zu.
Im Schatten des Martello Towers, wo sonst jeden Sonntag der Flohmarkt stattfand, stand an diesem Morgen nur ein einziges Fahrzeug. Sonst parkte niemand dort, um den üblichen Ramsch und Klimbim zu verkaufen. Stattdessen wimmelte es dort von einer lärmenden, aufgebrachten Menschenmenge.
Das Fahrzeug war ein neuer, schimmernder schwarzer Lieferwagen mit verdunkelten Scheiben. Er stand ganz hinten in einer Ecke des leeren Parkplatzes und auf dem Klapptisch vor dem Laderaum stapelten sich ganze Berge von Dancing Jacks und Minchetgläsern.
Labella, die Hohepriesterin, überwachte die Ausgabe der Heiligen Schriften. Links und rechts von ihr standen die Harlekin-Priester. Ungeduldige, besorgte Kunden, die verzweifelt ein Buch ergattern wollten, reichten dem Lockpick enorme Summen, die er in einer großen Metallkassette verwahrte. Selbst der Ismus hatte unterschätzt, wie erfolgreich Dancing Jacks sein würde. Tausende Bücher waren in Felixstowe mittlerweile im Umlauf. Innerhalb einer Woche hatten der Ismus und sein Gefolge es geschafft, vier der sechs großen Kisten, die sie im Keller von Austerly Fellows’ Haus gefunden hatten, aufzubrauchen. Nur zwanzig Minuten nachdem sie heute Morgen den Stand aufgebaut hatten, waren sie dem Boden der fünften schon bedenklich nahe gekommen. Nicht einmal für einen Bruchteil der Leute hier würde es reichen.
Lady Labella lächelte in sich hinein, als sie eine Frau in gelben Flip-Flops bemerkte, die sich mit Ellbogeneinsatz einen Weg durch die Menge erkämpfte. Labella erkannte in ihr die Kundin von vergangenem Sonntag.
»Ich brauche ein Buch!«, bettelte die Frau und wedelte mit einem Stapel Fünfziger und Zwanziger.
»Sie haben Ihre Meinung also geändert?«, fragte Labella verschmitzt. »Ist Ihr Patenkind doch nicht so besonders, wie Sie angenommen hatten?«
»Das ist nicht für sie!«, schnauzte die Frau barsch. »Sondern für mich! Ich muss eins haben! Ohne kann ich nicht leben! Ich gebe Ihnen alles – alles! Ich habe siebenhundert Pfund in bar dabei, aber sobald die Bank morgen öffnet, kann ich mehr besorgen!«
Das Lächeln der Hohepriesterin wurde breiter, sie wusste genau, was der Ismus an ihrer Stelle tun würde. Die Harlekin-Priester deuteten mit ihren Zeigestäben auf eins der schwarzen Felder auf ihren Patchwork-Gewändern. Labella nickte zustimmend.
»Vielleicht nächsten Sonntag«, sagte sie.
Die Frau stieß ein durchdringendes Kreischen aus und wollte Lady Labella das Geld regelrecht aufdrängen. Sie versuchte, nach einem der Bücher zu grapschen, doch die Leute hinter ihr zerrten sie grob fort. Dabei fielen ihr die Geldscheine aus der Hand und wurden vom Wind über
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