Dancing Jax - 01 - Auftakt
bin am Verdursten!«
»Soll ich noch ein paar Aufnahmen von den Trauergästen machen?«, fragte Gavin. »Willst du den üblichen Leichenwagen- und Sargträgerkram?«
»Darauf kannst du deinen Arsch verwetten«, stelle Lyndsay klar. »Ich will heulende Kinder, Teddybären mit rührseligen Nachrichten in den Pfoten, Eltern nahe dem Zusammenbruch – alles, was auf die Tränendrüse drückt. Wenn irgendwo noch ein Auge trocken bleibt, piks mit dem Finger rein! Ach – und falls du diesen Direktor sichtest, dann behalte es, dem Fernsehpreis zuliebe, nicht für dich! Der Typ ist schwerer ausfindig zu machen als Madonnas echte Haarfarbe, der Feigling! Das wäre eine echt geile Ergänzung für meine Sendung später. Reue, Schuld, Wut – was immer sich am besten reinschneiden lässt. Irgendeine Reaktion kriege ich schon von ihm und wenn ich ihn treten muss. Wenn wir Glück haben, liefert er uns die gute alte Kameramann-Attacke – das ist immer Gold wert.«
»Super, vielen Dank auch, Lyndsay«, stöhnte Gavin.
»Und bloß keine wackeligen Einstellungen oder krasse Zooms«, warnte sie. »Wir drehen keinen Spielfilm – es soll nicht aussehen, als würden wir versuchen, ein schäbiges Drehbuch aufzupeppen.« Die Reporterin stampfte über alte grasbewachsene Gräber und machte sich auf die Suche nach ihrem Cafè Latte mit fettarmer Milch. Vor geschlagenen drei Stunden war sie hier angekommen und ihr letzter Kaffee war Ewigkeiten her – nun lechzte sie nach mehr.
Mit der Kamera auf der Schulter durchforstete Gavin den Friedhof und filmte verstohlen, wie die ersten Menschengruppen anlässlich des Gedenkgottesdienstes und der Beisetzungen eintrafen. Er war der einzige Kameramann vor Ort. Dieses Wochenende gab es jede Menge Starevents abzudecken und natürlich hatte er als Einziger den Kürzeren gezogen. Dafür waren jede Menge Fotografen diverser Schmierblätter anwesend.
Genervt stellte Gavin fest, dass die Trauergäste ungewöhnlich gefasst und ruhig waren. Kaum ein Taschentuch kam zum Vorschein, nicht mal bei den Omas. Die Fotografen waren auch nicht sonderlich begeistert darüber. Dann erregte etwas Gavins Aufmerksamkeit …
Ein Schwung Kinder in Schuluniform kam auf das Gelände, aber irgendetwas war merkwürdig. Was hatten sie denn mit ihren Ärmeln angestellt? Gavin behielt seinen kleinen LCD-Monitor genau im Auge und zoomte näher heran. Waren das etwa Spielkarten an ihren Jacken? Was sollte das denn? Und was um alles in der Welt stimmte mit ihren Mündern nicht? Warum waren ihre Lippen so ekelhaft verfärbt? Was hatten die alle nur gegessen? Diese beschissenen Aufnahmen würden Lyndsay ganz bestimmt nicht gefallen. Gavin merkte, wie auch die Paparazzi zu nörgeln begannen.
Mehr und mehr Menschen strömten auf das Friedhofsgelände. Die erste Beisetzung war ein Doppelbegräbnis – zwei Mädchen im Teenageralter. Weil sie beste Freundinnen gewesen waren, hatten sich die Familien eine gemeinsame Zeremonie gewünscht. Gavin drängelte sich an den übrigen Anwesenden vorbei, um den besten Platz für die Aufnahmen der von Leid zerfurchten Gesichter zu ergattern. Doch was er stattdessen zu sehen bekam, überraschte ihn so sehr, dass er das Filmen komplett vergaß.
Noch nie im Leben hatte er solche Kränze gesehen. Auf einem der Särge saß ganz oben ein riesiges rotes Karo, aus Hunderten von zusammengesteckten Blumen, und auf dem anderen prangte ein massiges schwarzes Kreuz. Getragen wurden die beiden Särge von Sargträgern, deren Anzüge seitlich aufgeschlitzt waren, sodass die Ärmel schlaff herabhingen.
»Das ist jetzt echt nicht mehr zu toppen«, murmelte er. Aber er irrte sich.
Gavin konzentrierte sich nun auf eine der beiden Mütter. Sie war völlig gefasst und vergoss keine einzige Träne. Ganz im Gegenteil – ihre entrückte Miene wirkte eher gelangweilt als traurig.
Der Totengräber trat vor die beiden Särge und setzte sich dann den schwarzen Zylinder auf. Gavin fiel die Kinnlade herunter. Das durfte doch nicht wahr sein! Aber doch – unter seinem schwarzen Hutband klemmte eine Spielkarte! Die Enttäuschung, die Gavin eben noch wegen der fehlenden Gefühlsduselei verspürt hatte, wandelte sich schlagartig in Aufregung. Irgendetwas ging hier vor, etwas, das ganz und gar nicht normal war. Und er würde jeden schrägen Augenblick davon aufzeichnen!
Nachdem er sich rückwärts durch die Menge geschoben hatte, um eine Großaufnahme von vorn zu machen, bezog Gavin Stellung vor der Kirchentür und hielt die
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