Dancing Jax - 01 - Auftakt
die Autodächer und den geschäftigen Flohmarkt wandern.
Der hohe, solide runde Koloss des Martello Towers dominierte die ganze Szene. Es war einer von vielen Türmen, die während der Napoleonischen Kriege erbaut worden waren, um sich gegen eine Invasion zu schützen, die nie erfolgte. Nun diente er der Küstenwache als Einsatzstelle. Andere Türme hatte man in exzentrische Behausungen verwandelt, während der Rest Stück für Stück verfiel. Die vom Meer verwüstete Küste Suffolks war übersät mit alten Bollwerken: Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg oder noch ältere aus dem Ersten.
Conors graue Augen suchten die Menschenmenge ab. Heute war auf dem Flohmarkt mehr los als sonst. Mehr Leute als je zuvor begutachteten den ungewollten Krimskrams, der hinter den Autos aufgetürmt war. Einige Gesichter waren Conor vertraut. Noch einmal überprüfte er sein Handy – Emma war spät dran.
Mit einem unterdrückten Fluch sah er zurück aufs Meer hinaus. Der gestrige Tag war für ihn ein einziger nichtssagender Nebel. Bei ihm zu Hause wusste keiner, wie er mit der Situation umgehen sollte, und je mehr Wirbel seine Eltern darum machten, desto mehr ärgerte er sich über sie. Inzwischen fühlte er sich wie eine Coladose, die man zu stark geschüttelt hatte und die platzen würde, sobald jemand einen falschen Ton sagte. Doch der Anblick des Meeres war beruhigend – stundenlang konnte er so dasitzen und es ansehen.
»Geld oder sonst was hab ich nich«, sagte Emma nüchtern. »Das kannst du also gleich vergessen!«
Conor blickte hinter sich. Das Mädchen stand neben der Mauer. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er sie nicht hatte kommen hören. Geräuschvoll kaute sie auf ihrem Kaugummi herum.
»Ich bleib nich lang«, stellte sie klar und schüttelte sich mit einem Ruck den Pony aus der Stirn. »Also, was willst du?«
»Geld?«, wiederholte er verwirrt. »Wovon faselst du?«
»Sag’s du mir doch, Blondschopf. Willst du nicht irgendwas von mir, damit du die Klappe hältst? Du weißt schon, dass das Erpressung ist, du krankes Schwein! Wenn du keine Kohle willst, dann kann’s nur das andere sein, und was das angeht, kannst du ja wohl nicht mehr richtig ticken, du dreckiger Perverser!«
Conor hielt abwehrend die Hände vor sich. »Hey! Ich wollte nur mit dir reden, sonst gar nichts. Du liegst ja so was von daneben.«
Emma verschränkte die Arme und blickte ihn durchdringend an. Beweggründe, die nicht durch und durch egoistisch waren, begriff sie nicht.
»Dann rede«, sagte sie schließlich.
Der Junge wusste nicht recht, wie er anfangen sollte. Er starrte auf die Trainingshose, die sie trug – vermutlich wollte sie ihre bandagierten Beine verbergen.
»Ist es schon besser?«
Emma zuckte mit den Schultern. »Ich hab ja nicht vor, Paul McCartney zu heiraten.«
Conor sah zu, wie sich drei Möwen um ein besonders großes Stück panierte Fischhaut stritten.
»Ich krieg es einfach nicht aus meinem Kopf- es verfolgt mich, wie ein Level aus Grand Theft Auto, das ich nicht schaffe«, sagte er. »Wenn man nicht selber dort war, versteht man’s nicht.«
»Hältst du mich vielleicht für ’ne Kummerkasten-Tante? Ich bin doch nicht das beschissene Doktor-Sommer-Team! Wenn du damit ein Problem hast, dann geh zu ’nem Psycho-Doktor oder schmeiß dir ein paar Beruhigungspillen ein!«
»Siehst du es denn nicht immer wieder, hier drin?« Conor tippte sich gegen die Stirn. »All die Gesichter – die Schreie, die Panik …«
Emma drehte sich weg. »Das geht nur mich was an.«
»Aber Ashleigh und Keeley …?«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach machen? Mir vielleicht den Kopf kahl scheren? Die beiden liegen in der Leichenhalle, ganz blau und tot, aber ich bin immer noch hier. Scheißegal, wie viel wir darüber quatschen oder wie oft ich deswegen heule, sie kommen nicht wieder und es ändert sich nichts. Hat also absolut keinen Sinn, auf solchem Kram rumzureiten. Das macht einen nur kirre.«
Conor schüttelte den Kopf. »Mann, bist du abgebrüht. Das waren deine besten Freundinnen.«
»Ich bin meine beste Freundin! Bist du endlich fertig, Hübscher?«
»Noch nicht ganz. Ich hab die Zeitungen von heute gesehen. Niemand weiß, warum das Auto außer Kontrolle geraten ist. Was ist passiert?«
Emma kaute weiter und machte kleine Bläschen in ihrem Mund. »Danny Marlow saß am Steuer, das ist passiert. Er war ein Volltrottel. Es war seine Schuld – alles.«
»Warum erzählst du das keinem? Das solltest du echt
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