Dancing Jax - 01 - Auftakt
es deine Absicht, auch mich zu zerfleischen?«
Langsam trat das Einhorn durch den blutgetränkten Schnee auf sie zu, sein Fell war beschmiert und beschmutzt vom Scharlachrot. Nichts gab es, das Jill tun konnte, und Tränen fielen aus ihren Augen.
»Der Tod hat so viele Gesichter« , sagte sie. »Doch sicher keines, das so schön ist. So soll es denn sein, wenn es sein muss – bring ihn, und das schnell! «
Das Einhorn neigte das Haupt und rannte los. Jill presste die Augen fest zu. Das Herz donnerte in ihrer Brust und sie atmete schwer. Möge das Ende rasch kommen!
Dann, zu ihrer Verwunderung, vernahm sie ein leises Geräusch, wie ein Schnurren, und fühlte, wie sich etwas in ihren Schoß drückte.
Als sie die Augen aufschlug, fand Jill das Einhorn vor sich auf dem Boden liegend, den Kopf auf die weißen Falten ihres Gewandes gebettet. Nun lag in den Augen des Tieres Sanftmut. Zufrieden blinzelte es und leckte mit seiner rosafarbenen Zunge die Tränen ab, die Jill auf die Hand gefallen waren.
Die Herzdame streichelte dem Einhorn den Kopf, reinigte es vom Blut, wusch es mit Schnee und kämmte mit den Fingern den feinen seidenen Bart.
Plötzlich begannen die mächtigen Eichen, welche die Lichtung umgaben, sich zu regen. Aus den Mistelzweigen, die dicht und buschig in ihren hohen Ästen wuchsen, glitt eine kleine Gestalt.
»Nun hast du es geschafft! « Die Stimme des Mistelkönigs war herzlich, aber warnend, als er auf Mädchen und Einhorn hinabblickte.
»Was habe ich geschafft?«
»Ihm neue Ketten angelegt« , antwortete das kleine, menschenähnliche Wesen. »Doch sind diese Fesseln stärker als die letzten. Niemals wird es wieder frei sein. Und sie haben bereits angefangen, es zu erdrosseln – noch vor dem Morgen wird es tot sein. «
»Nein!«, rief sie. »Warum?«
»Du hast ihm das Herz gestohlen und es mit deiner Schönheit durchbohrt. Wie soll es nun ohne es leben? Ein Einhorn ist immer zum Tode verdammt, sobald eine Jungfer es gezähmt hat. Deine Zärtlichkeit hat dies bewirkt! Es war unklug von dir, in diesen Wald zu wandern. Sieh nur, welch Unheil deine selbstsüchtige Torheit heraufbeschworen hat! Nun soll sein Fluch auch der deine sein. Man kann die Welt nicht um solch ein rares Wunder berauben und ohne Strafe davongehen. «
»Muss auch ich nun sterben?«
Der Mistelkönig raschelte mit seinen glitzernden Blättern, sodass die perlenartigen Beeren sich schüttelten. »Nicht so schnell und nicht so leicht« , erklärte er. »Höre mir zu. Dies sei dein Anteil an dem Fluch: Keiner, der deinen Weg kreuzt, soll je wieder einen anderen einschlagen wollen. Eine Tochter aus dem königlichen Hause der Herzen bist du und Herzen sollst du sammeln – so unbeschwert, wie Kinder Margeriten pflücken. Keiner – solltest du es wünschen – soll entkommen, außer einem, und dieses Herz soll das einzige sein, welches du wahrhaft ersehnst. Einen bitteren Kelch hast du an deine Lippen gelegt. «
»Ich wollte es nicht! «
»Und doch wurde der erste Schluck bereits getan. Der Fluch ist nun ausgesprochen und ich bin sein Zeuge. « Damit hüpfte der Mistelkönig zurück, hinauf in den Eichenbaum, und purzelte durch die Zweige, bis er mit einer der immergrünen Wolken verschmolz.
Das Mädchen blickte unglücklich zu der Eiche empor. Dann streichelte sie dem Einhorn das Haupt, beugte das eigene darüber und deckte sie beide mit dem lumpigen Umhang zu. So verharrte sie, bis die ersten Strahlen der Winterdämmerung die Spitzen der Berge im Osten berührten und das Einhorn tot und verwelkt in ihrem blutgetränkten Schoß lag.
Mit einem Schrei fuhr Sandra Dixon auf und brach auf ihrem Schreibtisch zusammen. Vor Kälte war ihr Gesicht ganz blau und taub und an ihren Wangen klebten gefrorene Tränen. Irgendwo im Haus brüllten sich ihre Brüder noch immer an.
»Ich bin Jill, die Herzdame«, schluchzte sie. »Ich bin die Herzdame.«
12
Auf, ihr Bauern, tanzt und lacht, auf dass es allen Freude macht! Hört sie jauchzen und den lauten Jubel. Blumen und Gaben jeder bringe samt vieler andrer Dinge, um zu sehen die Fürsten inmitten des Trubels. Doch einer, der brachte einen Degen, um zu meucheln und zu nehmen ein Leben. Jemand wird heut Böses auftischen. Seht, wie der Jockey rennt, fort von jedem, den er kennt. Lasst ihn nicht entwischen! O wie schön, ihn flüchten zu sehen – bald werden wir es ihm heimzahlen gehen!
Barry Milligan kam am Montagmorgen extra früh zur Schule. Das Tor war übersät mit
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