Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
raschelnd die Stufen herunterkam.
Reggie kniff die Augen fest zu und atmete tief durch. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Ihm blieb keine Zeit, um seine Tante zu trauern, das konnte er später nachholen, wenn er erst in Sicherheit war. Falls er jemals in Sicherheit sein würde. Egal, jetzt musste er zusehen, dass er von hier fortkam.
Er eilte zurück in den Gang.
Die Frau, die einmal seine Tante Jen gewesen war, stand nun auf der untersten Stufe, einen Fächer aus schwarzen Federn in der Hand. »Du kannst nicht gehen«, sagte sie und schlug sich damit sanft in die Hand.
»Dann schau mal gut zu!«, knurrte Reggie und stürmte zur Haustür hinaus.
Wie angewurzelt blieb er stehen. Verzweifelt blickte er sich um und eine eisige Kälte ergriff ihn. Die Straße war voller Menschen. Mehrere Hundert Anwohner und Nachbarn hatten sich stillschweigend vor dem Haus versammelt. Sie alle waren wie mittelalterliche Märchenfiguren gekleidet und jeder Einzelne trug eine Spielkarte an seinem selbst gemachten Kostüm. Ganz in der Nähe, auf dem Rasen, standen Reggies Onkel und Cousins.
Onkel Jason trug einen Kittel mit einem Gürtel, an dem Zinnhumpen hingen. Er sollte vermutlich einen Gastwirt darstellen, wirkte aber einfach nur lächerlich. Seine Söhne, Tim und Ryan, waren ebenfalls verkleidet. Einer war ein Page, der andere ein Küchenjunge.
Reggie fühlte, wie ihm das Herz in die Hose rutschte. Er saß in der Falle.
»Abtrünnling«, sagten seine Cousins.
»Abtrünnling«, wiederholte sein Onkel.
»Abtrünnling!«, zischte Tante Jen, die hinter Reggie in der Tür erschienen war.
Das Wort verbreitete sich wie ein Lauffeuer, bis die riesige Menschenmenge es wie ein Mantra rief. In allen Gesichtern lag unverhohlene Wut.
»Wir dürfen nicht dulden, dass Abtrünnige am Leben bleiben!«, brüllte Onkel Jason.
»Verbrennt ihn!«, rief Ryan.
»Verbrennt ihn!«, schallte das Echo aus der Menge.
Mit blankem Entsetzen starrte Reggie sie an. Sie meinten es ernst, keine Frage! Sie würden ihn bei lebendigem Leib verbrennen, so weit hatte der Wahn sie schon getrieben.
»Sperrt ihn in den Schuppen und zündet ihn an!«, schrie Onkel Jason.
»Nein!«, befahl Tante Jen. »Es muss ordentlich geschehen, so, wie wir auch den Bösen Hirten verbrennen würden. Baut einen Scheiterhaufen. Holt Holz und Benzin!«
Der Mob johlte vor Begeisterung. Viele rannten in ihre Häuser, um alles herbeizuzerren, was brennbar war. Der Rest umkreiste Reggie und kam immer näher. Er konnte rein gar nichts machen, es gab keine Aussicht auf Flucht. Kräftige Hände packten ihn. Man hob ihn in die Luft und trug ihn zur Straße.
Ein erster kleiner Haufen Scheite lag schon auf dem Asphalt. Darauf stapelten sich Stühle, Tische, leere Bücherregale, von den Wänden gerissene Schränkchen, Bündel von Zeitungen, die rasch aus Recyclingtonnen geholt worden waren – alles, was ein Feuer nähren konnte, wurde voller Euphorie herbeigeholt. Ein Mann trat mit einer Kettensäge aus seinem Haus und machte sich eilig daran, die Möbel in Stücke zu zersägen, die man leichter stapeln konnte.
Reggie wurde um die stetig wachsende Holzpyramide herumgetragen wie eine lebendige Guy-Fawkes-Puppe. Ein Rentner warf freudestrahlend seinen Gehstock mit dazu, während eine Frau unter schallendem Gelächter einen Kanister mit Brennöl aus ihrer Garage herbeitrug. Als sie zu Reggie aufblickte, sah er die aufgekratzte Erwartung in ihrem Gesicht. Sie begann, um den Holzhaufen herumzutanzen und ausgelassen das Öl darüberzugießen.
Reggie wurde so fest gehalten, dass er sich keinen Millimeter rühren konnte. Er wollte um Hilfe rufen, die Meute anbrüllen und ihnen klarmachen, dass sie alle den Verstand verloren hatten, dass an all dem nur das Buch Schuld hatte und sie besessen waren – dass sie im Begriff waren, einen Mord zu begehen. Aber keiner hörte ihm zu, stattdessen sangen sie immer lauter die bescheuerten Lieder aus der bösen Schrift. Das war’s dann also. Er würde in den Flammen sterben.
Doch plötzlich durchschnitt das Heulen einer Sirene das aufgeregte Gebrabbel der Menschen und zu Reggies unermesslicher Erleichterung rasten zwei Streifenwagen die Straße herunter und blieben mit quietschenden Bremsen vor dem Scheiterhaufen stehen.
»Oh, danke, danke!«, schrie Reggie.
»Sofort aufhören!«, brüllten die Officer, während sie die Autotüren zuschlugen.
Die Menge verstummte.
Einer der Polizisten trat vor, die Hand griffbereit nur Zentimeter von der
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