Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
schnell zu ihm und tupfte ihm die glitzernde Stirn ab.
»Wie sehe ich aus, Tanya?«, fragte er schon fast schnurrend.
»Tadellos wie immer, Mr Webber«, antwortete die hübsche Tanya äußerst professionell.
»Findest du nicht, ich hätte langsam eine kleine Augen-OP nötig, hm? Sitzt noch immer alles, ja?«
Tanya war klug genug, ihn nicht darauf hinzuweisen, dass sie durchaus wusste, dass er schon zwei Schönheitsoperationen hinter sich hatte, um seine Tränensäcke und die Krähenfüße loszuwerden. Zugegeben, das Ergebnis konnte sich sehen lassen – vermutlich hatte er es hier an der Ostküste machen lassen, wo der Trend eher zu dezenten Eingriffen ging, anders als in Kalifornien. Dort sah man hinterher wie eine wandelnde Wachsfigur aus, die zu lange in der Sonne gestanden hatte.
»Wie wär’s mit Sushi nach der Arbeit?«, fragte er sie und setzte seinen laszivsten Schlafzimmerblick auf. »Ich kenne da ein super Restaurant, wo man mich nicht belästigt und wir unsere Ruhe hätten – nur ich, du und das Wasabi.«
»Nein danke, Sir«, lehnte sie nun schon zum sechzehnten Mal in diesem Monat ab.
»Immer dieses Nein«, hauchte er und zuckte mit seinen in Armani gekleideten Schultern. »Bei so viel Ablehnung könnte ein gut aussehender, erfolgreicher Junge glatt sein Selbstvertrauen verlieren. Solange ich verheiratet war, habe ich schon genug Neins kassiert – bis zum Tag der Scheidung. Da wurden aus den Neins schlagartig viele Jas. Ja, sie wollte mein Apartment, ja, sie wollte meine Autos, ja, sie wollte Unterhalt von mir, ja zu den viereinhalb Litern meines Null negativ, diese Blutsaugerin. Ich kann von Glück reden, dass sie mir nicht auch noch meine beiden … ähm … Wasabis abgeschnitten hat.«
»Es bleibt bei Nein, Mr Webber«, sagte Tanya, duckte sich aus dem Bild und verschwand hinter der Kamera.
»Kann ein bisschen roher Fisch denn so abstoßend sein?«, versuchte er es noch einmal und blickte ihrem fliehenden Ausschnitt hinterher.
»Der Fisch nicht, du Arsch«, zischte sie leise.
Harlon Webber hielt Ausschau nach einem neuen Gesprächspartner, doch seine Crew kannte ihn gut genug, um nur dann mit ihm Augenkontakt aufzunehmen, wenn es wirklich sein musste. Gezwungenermaßen wandte sich Harlon also wieder dem Bildschirm zu und schaute sich den Bericht an, der eben ausgestrahlt wurde.
Ganz Großbritannien hatte anscheinend den Verstand verloren. Vor fünf Monaten war ein Kinderbuch mit dem Titel Dancing Jax veröffentlicht worden, das sich seitdem unfassbare dreiundsechzig Millionen Mal verkauft hatte. Das bedeutete mindestens ein Buch pro Bürger. Es hatte das Leben jedes Einzelnen in diesem Land völlig auf den Kopf gestellt.
Journalistin Kate Kryzewski kommentierte Bildmaterial von Randalen in Whitehall, wo rivalisierende Splittergruppen aneinandergeraten waren. Auf beiden Seiten kämpften Polizisten in Schutzanzügen, meistens gegeneinander. Unter dem Gejubel eines Mobs brannte ein Buchladen lichterloh, mehrere Menschen schleuderten Molotowcocktails gegen die Tore der Downing Street und ein Panzer rollte über den Trafalgar Square, um die aufgebrachten Unruhestifter zu verscheuchen. In der Charing Cross Road wurden Wasserwerfer und Tränengas gegen eine heranwogende Menge Protestler eingesetzt.
»Diese beunruhigenden Szenen spielten sich vor nur sieben Wochen hier in London ab«, hörte man Kates Stimme im Hintergrund. »Ähnlich zugespitzte Auseinandersetzungen hat es im ganzen Land gegeben. Der totale Krieg schien in der Heimat von Fish and Chips und den Beatles ausgebrochen zu sein. Der Grund dafür? Ein altes Märchenbuch von 1936. So unglaublich das klingen mag, diese Nation wurde unerbitterlich und auf äußerst brutale Weise in zwei Lager gespalten – auf der einen Seite standen die, die das Buch gelesen hatten, auf der anderen die, die genau das verweigerten. Inzwischen haben die wütenden Aufstände nachgelassen und der Frieden ist auf der Insel wieder eingekehrt. Und warum? Weil mittlerweile so ziemlich jeder dieses Buch gelesen hat. Stellt sich nur die Frage, was Dancing Jax an sich hat, dass es solch extreme Reaktionen hervorruft. Noch habe ich selbst es nicht gelesen und werde mich auch hüten, bevor ich nicht Genaueres herausgefunden habe. Also habe ich mich hinaus auf die Straße gewagt, um dort nachzufragen …«
Im weiteren Beitrag sah man, wie Kate in ganz London vor malerischen Wahrzeichen wie dem Buckingham Palace oder Big Ben wahllos Passanten interviewte. Jeder
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