Danger - Das Gebot der Rache
Er wollte sich einreden, er spreche aus Pflichtgefühl heraus, aus Berufung, sein Pakt mit Gott und der Kirche habe ihn auf ihren Wunsch eingehen lassen. Doch tief im Innern wusste er, dass es einen anderen Grund dafür gab, der nicht ganz so ehrenhaft war. »So sehr bin ich nicht in Eile.« Er berührte sie leicht am Arm und deutete in Richtung Kirchhof. »Wir können uns jetzt unterhalten, wenn Sie nichts dagegen haben, dass ich den Handwerker spiele. Eine der Dachrinnen am Kreuzgang ist verstopft, und der Mann, der sich für gewöhnlich darum kümmert, liegt mit Grippe im Bett. Es dauert nur einen Augenblick.«
Olivia beschloss, ihm zu vertrauen, auch wenn sie einen Anflug von Nervosität verspürte. Hatte sie nicht gerade erst gesehen, wie ein durchtrainierter Priester diese arme Frau umgebracht hatte?
Du kannst nicht jedem körperlich fitten Geistlichen misstrauen, der dir über den Weg läuft. Wie stehen schon die Chancen, dass dieser Priester das Monster aus deiner Vision ist?
Außerdem wollte sie mit jemandem über ihre Gabe und die Last, die diese mit sich brachte, sprechen. Sie hatte nicht vor, Vater McClaren von den Morden zu berichten oder dass sie einen Mann im Priestergewand dabei beobachtet hatte, wie er eine unschuldige Frau meuchelte, aber sie wollte auf irgendeine Art und Weise an die Kirche herantreten, mit einem Mann Gottes reden, eine Verbindung herstellen.
Vater James führte sie an den letzten Bankreihen vorbei und durch eine Tür zum Kreuzgang, wo der überdachte Bereich ein Marmorkarree mit einem Brunnen und der ebenfalls marmornen Statue der Jungfrau mit Kind umgab. Kalter Wind fegte über die freie Fläche, dunkle Wolken zogen über den Himmel.
»Es dauert nur eine Minute«, sagte Vater McClaren, während er die Tür zu einem Kämmerchen aufschloss und einen Besen, ein Paar Handschuhe, einen Eimer und eine Leiter herausholte. Olivia strich sich mit einer Hand das Haar aus den Augen und beobachtete, wie er die Leiter dort aufstellte, wo die Dachrinne zu einem Abfluss führte. Der Priester streifte sich die Handschuhe über, stieg die Streben hinauf und zog durchweichte Blätter und Ablagerungen aus dem Abfluss. »Schmutzige Angelegenheit«, sagte er, schob den Besenstiel in die Dachrinne und sah Olivia von der Leiter aus mit einem breiten Lächeln an. Seine weißen Zähne strahlten über dem markanten Kinn, auf dem ein dunkler Bartschatten lag. Der Kerl sah einfach viel zu gut aus, um ein Geistlicher zu sein.
Olivia verspürte eine Art Déjà-vu, als wäre sie ihm schon einmal irgendwo begegnet. Ein dummer Gedanke. An diesen Mann hätte sie sich mit Sicherheit erinnert.
Er war fertig mit der Dachrinne. Olivia versuchte zu ignorieren, wie sich der Jeansstoff über seinem Hintern spannte, als er von der Leiter stieg. Was war bloß los mit ihr? Ihre Libido, die so lange geschlafen hatte, war plötzlich hellwach. Und wie immer für den den falschen Mann.
»Wir können gern reingehen, wenn Ihnen kalt ist, aber mir gefällt es hier draußen. Man ist an der frischen Luft, aber trotzdem geschützt. Irgendwie näher bei Gott.« Er klappte die Leiter zusammen und brachte sie mit Eimer, Besen und Handschuhen zurück in die Kammer.
»Wenn das Priestergeschäft mal nicht mehr läuft, können Sie gut als Hausmeister arbeiten«, stellte Olivia fest, als er die Kammertür verschloss.
Er lachte und fuhr sich mit den Fingern durch sein nahezu pechschwarzes Haar. »Das ist nicht gerade eine höhere Berufung. Also, erzählen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben?«
»Sie werden mir nicht glauben.«
»Versuchen Sie es.« Wieder dieses Lächeln. »Ich habe schon vieles gehört.«
»Okay«, sagte sie, als sie den Kreuzgang entlangschritten. Der Geruch des Mississippi wehte über die zweihundert Jahre alten Kirchenmauern. »Ich heiße Olivia«, fing sie an. »Olivia Benchet. Ich bin vor ein paar Monaten hergezogen, um bei meiner sterbenden Großmutter zu sein. Jetzt ist sie tot, und ich habe ihr Haus und noch etwas anderes geerbt. Es ist eine besondere Gabe, sagt man, eine Art außersinnliches Wahrnehmungsvermögen.«
» ASW ?«
»Ich sehe Dinge, Vater. Manchmal sehr hässliche Dinge.« Olivia steckte die Hände in die Taschen und fragte sich, wie viel sie ihm anvertrauen sollte. Trockene Blätter tanzten über den Steinfußboden. »Manchmal sehe ich Dinge, die mich an meinem Glauben zweifeln lassen.« Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu, doch er blickte nach vorn, die Augenbrauen
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