Danger - Das Gebot der Rache
Sie?«
»Ich sehe mich wegen meines Vaters gezwungen, Rat zu suchen. Ich habe ihn nie richtig gekannt, er und meine Mutter haben sich scheiden lassen, als ich noch ein Kleinkind war, und seitdem hat er fast die ganze Zeit über im Gefängnis gesessen. Unter anderem wegen Mord.« Vater James zuckte noch nicht mit der Wimper. »Aber er ist Anfang dieses Jahres vorzeitig entlassen worden, was ich nicht wusste. Meine Mutter hat es mir gerade erst erzählt, und jetzt will er sich mit mir treffen. Er hat angerufen und behauptet, er habe sich verändert, sei bekehrt, ein Geistlicher oder etwas in der Art. Die schlichte Wahrheit ist, dass ich wirklich nichts mit ihm zu tun haben möchte.«
»Aber …?«, ermutigte er sie.
»Aber selbst wenn er für mich in Gedanken nicht mehr ist als mein Erzeuger, so bin ich doch sein Fleisch und Blut. Ich bin sein einziges lebendes Kind, und mein gutes altes katholisches Schuldgefühl meldet sich zu Wort. Er hat gesagt, ich sei alles, was ihm noch geblieben sei.« Seine Worte beschäftigten sie, irgendetwas daran stimmte nicht, aber Olivia konnte nicht sagen, was.
Vater James hörte ihr aufmerksam zu. Er hatte sein markantes Kinn auf die Handknöchel gestützt und die blauen Augen fest auf sie gerichtet. Ein dunkler Bartschatten lag auf seinem Gesicht. Er trug ein schwarzes Hemd mit einem steifen weißen Priesterkragen. Etwas an ihm erinnerte Olivia an jemanden. Vielleicht an irgendeinen Fernsehschauspieler oder Hollywood-Adonis aus einem B-Movie, der nie den Weg nach ganz oben geschafft hatte.
Er wirkte einfach nicht wie ein Priester, obwohl er ein Klerikergewand trug und in diesem alten Raum mit dem Bogenfenster an seinem breiten, blank polierten Schreibtisch saß, eine aufgeschlagene Bibel neben sich. Vater James McClaren sah aus, als gehörte er auf einen Fußballplatz, würde Wildwasser-Touren führen oder auf der Brücke eines Segelboots stehen.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, verzog er die Lippen zu einem Lächeln und entblößte seine geraden, strahlend weißen Zähne. »Ich sollte Ihnen raten, Ihr Herz zu befragen, Ihre Seele zu erforschen, den Mut zu finden, Ihrem Vater seine Sünden gegen Sie zu vergeben.«
»Halte auch die andere Wange hin und verschließe die Augen vor allem, was er getan hat?«
»Er hat seine Schuld der Gesellschaft gegenüber verbüßt, so dass nur das bleibt, was er Ihnen angetan hat – Ihre Mutter und Sie zu verlassen, Sie zu beschämen.«
»Genau.«
»Ich möchte das nicht verharmlosen. Da gibt es nichts herunterzuspielen, schon gar nicht, wenn jemand ein Kind im Stich lässt. Ich bin mir sicher, dieser Schritt war für Sie und Ihre Mutter verheerend. Und selbst jetzt, da Sie erwachsen sind, bedeutet das nicht, dass der Schmerz darüber verschwunden ist. Sie können behaupten, es kümmert Sie nicht mehr, Sie seien darüber hinweg, vielleicht sei es so das Beste gewesen, aber die Narben sind nun mal tief und schmerzhaft. Und wenn sie wieder aufbrechen, so wie jetzt, da Ihr Vater wieder Kontakt zu Ihnen aufgenommen hat, tut es weh, bluten die Wunden erneut. Fördern alte, leidige Erinnerungen zutage, die Sie längst vergessen und begraben hatten.« Diesmal lächelte er nicht, als er Olivia anblickte, und ihr wurde auf einmal bewusst, wie dunkel es im Raum war. Das einzige Licht stammte, abgesehen von der Straßenlaterne draußen, von einer Messing-Banker-Lampe mit grünem Glasschirm. Die Ecken des Büros schienen auf beklemmende Art und Weise zu schrumpfen.
»Ich kann Ihnen nicht raten, was Sie tun sollen, Olivia«, sagte Vater James. »Ich kann Ihnen nur vorschlagen zu beten und mit Gott darüber zu sprechen. Darauf zu hören, was Er sagt.« Er spreizte die Finger. »Das ist wahrscheinlich nicht die Antwort, nach der Sie gesucht haben, aber es ist die beste, die ich Ihnen geben kann.«
»Tatsächlich?«
»Ich schlage Ihnen vor, Sie fahren nach Hause und denken darüber nach. Gehen Sie in sich, prüfen Sie Ihre Seele, dann kommen Sie in ein paar Tagen wieder her, und wir sprechen noch einmal darüber.«
»Und in der Zwischenzeit? Was, wenn er wieder anruft?«
»Dann tun Sie, was Ihr Herz Ihnen sagt.«
»Und wenn mein Herz mir sagt, ihn nach allen Regeln der Kunst zu beschimpfen?«
»Dann stellen Sie sicher, dass die Regeln aus diesem Buch hier stammen.« Er legte zwei Finger auf die Bibel auf seinem Schreibtisch.
»Ist es das, was Sie immer tun?«
»Es ist das, was ich
versuche
zu tun.« Er seufzte. »Wissen Sie, ich trage diesen
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