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Daniel und Ismael

Daniel und Ismael

Titel: Daniel und Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Walther
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legt es ordentlich zusammen. Ich ziehe mich auch aus, bis wir nackt voreinander stehen. Ich kann meine Augen nicht von ihm lassen. Auf seinem Oberarm leuchtet ein blauer Fleck von der Größe eines Apfels. Sein Vater hat ein Foto von uns beiden gefunden, ein ganz harmloses Foto. Aber nicht für seinen Vater. Heimlichkeiten zu haben ist nicht erlaubt bei den Bekennern, Fotos auch nicht. Ismael sagt, die Worte waren viel schlimmer als die Schläge.
    Ich trete nackt vor den großen Spiegel und strecke ihm meine Hand entgegen.
    “Nein.” Er schüttelt den Kopf und macht einen halben Schritt rückwärts. Ich betrachte mich selbst im Spiegel.
    “Es ist nicht so schlimm.” Ich strecke die Hand noch einmal aus, er nimmt sie und tritt zögerlich neben mich.
    “Siehst du, du bist schön.”
    Er betrachtet sich selbst, schüchtern und doch neugierig. Ich berühre sein Schlüsselbein, er schaut mir im Spiegel in die Augen, ich fahre mit meinen Fingern über seine Brust und seinen Bauch, während ich ihn anblicke. Hastig geht Ismael zum Bett. Ich lege mich neben ihn.
    “Mir ist kalt”, sagt er und deckt sich zu. Es ist alles andere als kalt im Zimmer.
    “Du auch?”, er hebt die Decke ein Stück.
    “Nein, noch nicht.” Ich betrachte ihn. “Du brauchst wirklich keine Angst haben, in den Spiegel zu schauen, so hübsch wie du bist. Viel hübscher als ich.”
    Er schaut mich erstaunt an. “So ein Quatsch!”
    Ich lege mich zu ihm unter die Decke, ganz dicht neben ihn. “Schau mich an, bitte”, flüstere ich. Er schaut mir in die Augen, seine wunderschönen braunen Augen. Ich fühle mich ihm ganz nahe. Ich küsse ihn, sein Mund ist weich, unsere leicht geöffneten Lippen spielen miteinander, ich küsse abwechselnd sein Ober- und seine Unterlippe, bis seine Zunge zärtlich in meinen Mundeindringt. In meinem Bauch breitet sich dieses warme Gefühl aus, etwas tiefer auch. Ich streichle seinen Oberkörper, küsse seinen Hals, die Stelle über seinem Schlüsselbein und seine glatte Brust. Ismael hat die Augen fest geschlossen, er dreht den Kopf zur Seite. Meine Küsse wandern tiefer,Ismaels Hände fahren durch meine Haare. Ich blicke auf. Er schaut mich an. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und beuge mich über ihn.
    Ich verstecke Ismael den ganzen nächsten Tag vor meiner Mutter. Wie lange das gut gehen kann, daran denke ich lieber nicht.
    “Hast du Angst, Daniel?”, fragt Ismael mich am Abend.
    Ich lasse mich auf den Fußboden fallen. Ismael legt sich an meine Seite, den Kopf an meiner Schulter, ich leg den Arm um ihn. Tröstend streiche ich meinem Liebsten über den Rücken. Plötzlich geht die Tür auf. Meine Mutter kommt mit Schwung herein. Dann stoppt sie abrupt und starrt uns an. Sie sieht unerfreut aus, eigentlich nicht geschockt oder wütend, nur sehr unerfreut.
    “Daniel komm bitte mit raus”, sagt sie scharf.
    “Was soll das werden?”, fragt sie streng, als sie die Tür hinter uns geschlossen hat. “Was macht dieser Junge hier?”
    “Er muss hier übernachten.”
    “Das geht nicht!”
    “Wieso denn nicht?”, frage ich aufmüpfig. Ihr Blick verhärtet sich. “Bitte Mutti, er kann nicht heim.”
    “Wissen seine Eltern, dass er hier ist?”
    “Nein”, muss ich zugeben.
    “Dann ruft er sie jetzt an.”
    “Bitte Mutti, das geht nicht. Seine Eltern sind in so einer Sekte. Er traut sich nicht heim. Sein Vater würde ihn schlagen und was weiß ich. Bitte, lass ihn hier übernachten.”
    Meine Mutter schaut mich skeptisch an, ich sehe, dass es in ihr arbeitet. “Er kann auf der Couch im Wohnzimmer schlafen,” sagt sie schließlich kühl, “aber morgen müssen wir seine Eltern anrufen.”
    “Wieso auf der Couch? Wir können doch das Gästebett in meinem Zimmer aufstellen wie immer.”
    “Ich sagte auf der Couch.”
    “Aber wieso …”
    “Klapp sie schon mal auf, ich hole Bettwäsche.” Folgsam gehe ich nach unten und zerre so lange an dem Ding rum, bis es aufspringt. Mutti kommt mit der Bettwäsche und wir beziehen gemeinsam. Aus dem Augenwinkel beobachte ich sie. Hat sie kapiert, was los ist? Als sie ins Zimmer kam, war die Situation ja nicht so eindeutig, oder doch? Besteht sie darum auf der Couch? Vermutlich wäre jetzt ein guter Zeitpunkt um zu sagen: ‘Hey Mutti, ich bin schwul’, aber ich bringe es nicht über die Lippen. Eigentlich habe ich noch nie darüber nachgedacht, es meinen Eltern zu sagen. In unserer Familie spricht man nicht viel über eigene Gefühle. Vielleicht ist es jetzt

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