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Daniel und Ismael

Daniel und Ismael

Titel: Daniel und Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Walther
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habe mal nachgeschlagen, er ist hebräisch und bedeutet ‘Gott hört’. ”
    “Wirklich?” Er beruhigt sich etwas. “Du meinst, Gott hört mich vielleicht, trotz allem. Er wird eine Lösung finden, oder?”
    “Hm”, Ich glaube zwar, das Ismael die selber finden muss, aber erstmal bin ich froh, dass er sich wieder beruhigt hat.
    Die verbleibenden vier Tage sind für mich wie der Himmel. Ismael ist glücklich und bezaubernd, er schwimmt, lacht und albert mit mir. Und manchmal schaut er nachdenklich übers Wasser, oder traurig einem Heteropärchen hinterher. Und abends im Zelt schläft er mit mir und akzeptiert jede Nacht, dass ein weiteres Kleidungsstück fällt, bis wir nackt sind, aber die Augen öffnet er nie.
    Ich verknipse mindestens acht Filme, ich zähle nicht mit, da mich mein Motiv ablenkt, und das ist meist nicht der See. Am letzten Tag machen wir noch ein paar Fotos mit Selbstauslöser von uns beiden.
    Auf der Rückfahrt im Zug sind wir schweigsam und blicken aus dem Fenster. Plötzlich habe ich Angst, dass nun alles vorbei ist. Der Bahnhof, an dem wir aussteigen müssen, kommt immer näher.
    “Daniel, wir sind gleich da, meine Eltern werden mich bestimmt von Bahnhof abholen, würdest du bitte am anderen Ende vom Zug aussteigen?”, Ismael schaut mich nicht an.
    “Hm.”
    “Und Daniel, ich hätte gern eins der Fotos, die du von uns beiden gemacht hast.”
    “Wann?”
    “Ich komme so bald ich kann zu dir, okay?”
    “Ich werde auf dich warten”, sage ich, lächle ihn an und gehe nach hinten. Ich ertappe mich dabei, dass ich seine Eltern giftig anschaue, als ich aussteige.

 
    14
    Zu Hause begrüßt mich meine Mutti liebevoll zwischen diversen Katalogen. “Schön, dass du wieder da bist. Katja hat angerufen. Sie hat dich zu ihrem Geburtstag eingeladen.”
    Erschrocken rechne ich nach, ihr Geburtstag ist - heute. Super. “Mist, habe ich vergessen, ich hab nicht mal ein Geschenk.”
    Mutti geht zum Schrank und holt ein kleines Päckchen raus. “Ihr Lieblingsparfüm, hab ich mir sagen lassen.”
    “Danke, Mutti”, sage ich, obwohl ich lieber eine Ausrede gehabt hätte, um nicht hinzugehen.
    Bei Katja erwartet mich das, was ich erwartet habe. Neben der gesamten Verwandtschaft ihr Freund Gunnar. Der verwickelt mich sofort in ein Gespräch über Autopolituren. Dass ich kein Auto habe, interessiert ihn dabei nicht im geringsten. Auch scheint Katja ihn nicht eingeweiht zu haben, dass ich eine Schwuchtel bin. Sonst würde er sich mit mir vielleicht über Nagellack unterhalten. Wahrscheinlicher ist aber, dass er dann gar nicht mit mir reden würde.
    Katja ist scheißfreundlich, aber so persönlich zu mir wie eine Qualle zum Ufersand. Bei ihr herrscht eitel Sonnenschein. Sie hat eine Lehrstelle als Industriekauffrau bekommen. Was das so genau ist kann sie mir auch nicht erklären, aber Hauptsache Lehrstelle.
    “… und dann haben wir jetzt eine ganz tolle Schrankwand bekommen. Die passt so gut zu unserer …”
    Schließlich fällt mir auf, was mich an ihrem Geplapper so irritiert. Sie redet genau wie die Erwachsenen um sie herum, Arbeit, Wohnung, ein beiges Kaffeeservice, das Leben ist abgesteckt.
    Ich beteilige mich schon lange nicht mehr am Gespräch. Ich schaue Katja an. Ihren frechen Bubikopf lässt sie strähnig herauswachsen. Wo ist das Mädchen geblieben, das sich einst mit wildem Schrei auf Jungen stürzte, die uns feindlich entgegentraten, die viel schneller rechnete als ich und barfuß über die Baumstämme balancierte, die über den Bach gefallen waren? Ich starre an Katja vorbei auf einen Punkt weit draußen hinter dem Fenster, hinter den Feldern.

 
    15
    Erst ein Mal habe ich Ismael wiedergesehen seit unserem Urlaub, einmal in einer ganzen Woche. Und da hatte er nur eine Stunde Zeit. Wenigstens hat er sich mit mir die Fotos angesehen. Und anrufen kann ich auch nicht, damit seine Eltern nichts mitbekommen. Ich sitze auf dem Fensterbrett, lasse die Beine baumeln und schaue in die mondbeschienene Landschaft.
    “Daniel”, höre ich einen leisen Ruf. In der Dunkelheit des Gartens kann ich schemenhaft eine Gestalt ausmachen.
    “Ismael? Spinnst du, du kannst doch klingeln.”
    “Leise! Lässt du mich rein?”
    “Ich komme.”
    Er umarmt mich, er friert, er trägt keine Jacke. “Kann ich bei dir bleiben? Ich will nicht mehr nach Hause.”
    “Ismael, ich würde dich gern nackt sehen, bitte”, sage ich schüchtern. Er zögert. Dann beginnt er sein Hemd aufzuknöpfen. Er zieht es aus und

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